Polen: Debatte über Geschichte und Kreisverkehr

Rund 20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus ist in Polen ein eher skurriler Streit ausgesprochen, wie das Land mit seiner Vergangenheit umgehen soll. Edward Gierek, Parteisekretär von 1970 bis 1980, würde heuer 100 Jahre alt. Die Demokratische Linke will deshalb das Jahr 2013 zum Gierek-Jahr erklären lassen - und sie will einen Kreisverkehr in Warschau nach Gierek benennen lassen. Die konservative Regierung antwortet auf ihre Art.

Morgenjournal, 19.1.2013

Erinnerung an Investitionen und Schulden

Im ehemaligen Hauptquartier der KP Polens ist heute nur noch eines rot: der Ferrari, der Passanten aus dem einzigen polnischen Showroom des Sportwagenherstellers anlacht. Wo einst die KP residierte, reiht sich heute ein Nobelgeschäft ans andere, aber ganz der Vergangenheit angehören sollen die alten Zeiten dann doch wieder nicht, geht es zumindest nach der Demokratischen Linken. Sie will den 100. Geburtstag Edward Giereks würdig begehen. Der ehemalige Parteisekretär ist vielen Polen in zumindest halb guter Erinnerung. Denn unter Gierek wurde in die Infrastruktur investiert. Dass die westlichen Kredite, die dafür notwendig waren, erst im vergangenen Oktober abbezahlt wurden, wird da leicht vergessen.

Unfallträchtiger Kreisverkehr

Den Jungen, die heute vor dem gewandelten Hauptquartier vorbeigehen, sagt er eigentlich nichts mehr. Anderen zumindest noch ein wenig: "Gierek, war das nicht der, der die Straßen gebaut hat?", meint eine Frau. Genau, und deshalb will die demokratische Linke jetzt einen Kreisverkehr in Warschau nach ihm benennen. Die Chancen, das Jahr zum Gierek-Jahr erklären zu wollen, sind gleich null, vielleicht aber schafft man auch in Warschau, was in anderen Städten möglich ist. Pikanterweise handelt es sich um einen Kreisverkehr, an dem besonders viele Unfälle geschehen. Aber die Frau, die Gierek zumindest kennt, will nicht einmal, dass so ein Kreisverkehr nach ihm benannt wird: "Also eine Straße nach ihm zu benennen, das finde ich dann doch übertrieben", meint sie. "Mir persönlich hat Gierek nichts getan, andererseits aber waren unter ihm die Schulden auch nicht höher als heute." - "Ich habe nichts dagegen, irgendwelche Verdienste wird er ja wohl auch gehabt haben."

Gescheiterter Reformer

Gierek wurde nach Arbeiterunruhen im Dezember 1970 Parteisekretär und trat mit dem Versprechen an, den Lebensstandard der Polen zu erhöhen. Er erlaubte den Import westlicher Waren und mehr Reisefreiheit, die wirtschaftliche Lage bekam aber auch er nicht in den Griff, trotz hoher Auslandsschulden. 1980 musste Gierek gehen, 1981 wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Ein gescheiterter Reformer, der die Polen offensichtlich nicht so sehr aufregt, wie die Konservativen glauben.

Keine Werbung mit Lenin

Es sind ganz andere Kommunisten, bei denen man in Polen keinen Spaß verträgt. So hielt sich ein Werbespot eines Prepaid-Telefonanbieters in Polen nur kurz: Beim Abendessen zu zweit kullert der Frau nicht etwa eine Träne aus dem Auge, sondern ein kleiner Lenin, der zwischen dem erstaunten Paar beim Date auf den Tisch springt, sofort die rote Fahne hisst und zur Preisrevolution aufruft. Werben mit Lenin? Und einer von ihm ausgerufenen Revolution? Zumindest in Ton und Bild unmöglich. Der Werbespot musste unmittelbar nach seiner Veröffentlichung wieder zurückgezogen werden, so groß war in Polen die Empörung darüber. Dennoch hängen die Plakate mit dem Lenin-Sujet immer noch. Was ist dagegen schon ein Kreisverkehr, der nach seinem kleinen Schüler Gierek benannt werden soll?

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