Roman von Tim Parks

Sex ist verboten

Stoiker wie Seneca lehrten die Freiheit von Leidenschaft – Apatheia, die Gelassenheit gegenüber inneren und äußeren Aufwallungen. Der Buddhismus tut es auch. Allerdings: Stoizismus ist nicht en vogue. Fernöstliche Entleerungsphilosophien hingegen schon.

"Sex ist verboten", im englischen Original übrigens ganz unspektakulär mit "The Server" betitelt, der neue Roman von Tim Parks, weist seine Leser ein in die Philosophie buddhistischer Lebensführung, wie sie in einem Retreat, dem Dasgupta Institut, nicht weit von London gelehrt wird. Eines der Mantras dort heißt: "Es gibt keine Hilfe. Sitze still und schweige."

Verbotene Frucht

"Die Figur der Beth basiert auf einer Person, die ich kannte," sagt Tim Parks und schmunzelt. "Sie ist eine lustige Frau, die will, dass die Männer sich in sie verlieben. Und dann will sie dem einen erzählen, dass es noch einen anderen gibt. Sie will Zoff machen. Sie will, dass um sie herum Unruhe herrscht. Und deshalb ist ein buddhistisches Retreat ein phantastischer Ort für sie in einem Roman. Dort gibt es diese bodenständige Abwehr gegen Drama und Gefühlsturbulenzen aller Art. Und dann ist es ja so, dass die Leute an der Spitze dieser Gemeinschaft Beth als eine Art Versuchung ansehen, eine Versuchung für sie selbst."

Tim Parks schreibt über eine Sex-Bombe im buddhisten-Retreat, eine krawallige Lulu unter Fans der totalen Bedürfnislosigkeit, eine Punksängerin mit Brüsten wie – Zitat – "Zuckermelonen", umgeben von streng nach Geschlechtern getrennten Schweigern. Hier die Männer, dort die Frauen. Blicke wechseln ist unerwünscht. Und dann heißt das Buch auch noch "Sex ist verboten!" Aber wir wissen ja alle, wie begehrt das Verbotene ist.

Drama Queen im Retreat

Beth ist Anfang 20 und will raus aus ihrem Lotterleben, sie glaubt, dass ihr Begehren an der Misere, die ihr Leben geworden ist, Schuld ist. Sie glaubt, dass sie lernen müsse, bestimmte Impulse zu unterdrücken, sagt Tim Parks: "Im Buddhismus geht es nicht um Unterdrückung, sondern darum zu akzeptieren, dass diese Dinge vielleicht nicht so wichtig und nicht so fesselnd sind, wie man immer dachte."

Vor ihrer Zeit im Retreat lebte Beth laut, schnell und verschwenderisch, führte ein Künstlerleben zwischen Hype und Havarie. Partys, Affären, Saufgelage, alles kleine Fluchten aus dem Korsett, das ihr Vater, ein Tuchfabrikant, ihr bereits in frühester Kindheit angelegt hatte - Beth soll seine Firma übernehmen. Sie rebelliert gegen den Vater, der sie nur als Projekt sieht und seine Frau mit wechselnden Assistentinnen betrügt. Sie rebelliert auch gegen die unterwürfige Mutter, die das alles in stiller Verkniffenheit duldet. Beth witzelt über die Ehe ihrer Eltern, der einzige Unterschied zum 30-jährigen Krieg bestehe darin, dass der halt nach 30 Jahren beendet gewesen sei.

Eines Nachts während einer Aftershow-Strandparty, verführt Beth ein paar junge Männer, mit ihr ins stürmische Meer zu gehen. Flatternde Wimpel warnen. Es ist ein lebensgefährliches Abenteuer. Und tatsächlich, einer kommt bei dem Versuch, Beth aus den Wellen zu retten, um. Seither hält Beth sich für eine Mörderin, und sowieso nagte schon vorher das Gefühl an ihr, sie sei verflucht und tauge zu nichts anderem, als Unheil über die Menschen zu bringen.

Die Wiedergeburt beschwören

Mit Schuldgefühlen und Selbstmordgedanken flieht sie in das Dasgupta-Institut, ein buddhistisches Retreat bei London. Dort möchte sie für ihre Fehler büßen, ihre Vergangenheit vergessen, als neue Frau wiedergeboren werden. Wie um das Gelingen der Wiedergeburt zu beschwören, gibt sie sich einen neuen Namen: Lisa. Ein neuer Name - "That's faster than therapy and cheaper than drugs", hatte Sarah Khan einmal sehr treffend geschrieben. Aber in Beths Fall funktioniert auch das nicht. Sowieso: In dem Schweige-Institut mit seinen autoritären Verhaltensvorschriften kann Beth nicht begreifen, was mit ihr eigentlich los ist. Schließlich denkt sie darüber nach, ob es nicht besser wäre, wie die Lehrer im Retreat, einfach ganz mit dem Leben aufzuhören. Lockend scheint ihr die Möglichkeit, "dass man nichts sein könnte, auf schöne Art, für immer. Dann bliebe man verschont."

"Das Ziel des Buddhismus ist, dass man sein Leben weniger als Geschichte sieht, und dass man weniger dem Bedürfnis verhaftet ist, das eigene Leben in eine Zukunft zu projizieren, die aus der Vergangenheit rührt", sagt Tim Parks. "Was zählt, ist die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment", meint der 58-jährige Engländer. Und weiter: "Beth versucht genau das, ohne Narrativ auszukommen, das heißt, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft."

Das Denken ausschalten

Tim Parks ist auf einer Recherchereise durch Indien zum Buddhismus gekommen. An fürchterlichen Unterleibsschmerzen leidend, für die europäische Ärzte keine Ursache fanden, besuchte er in Indien einen Guru. Der gab ihm den Rat zu meditieren. Und es funktionierte. Daraus entstand das Buch "Die Kunst stillzusitzen", eines der bestverkauften Bücher unter den rund 20, die der zwei Mal für den Booker-Preis nominierte Engländer bereits geschrieben hat.

"Wenn man lernen will, den Körper zu entspannen, muss man sprachliches Denken ausschalten", meint Parks. "Da ist auch die Wissenschaft sich ganz sicher: Wenn der Kopf in Worten denkt, dann verkrampft sich der Körper. Dazu gibt es endlos viele Studien. Wozu der Buddhismus einen einlädt ist, diesen fortwährenden Gedankenstrom manchmal zu unterbrechen, um dem Körper ein wenig Entspannung zu gönnen."

Das Faszinierende für ihn war zu beobachten, dass er das nur schwer fertig brachte. Aber dann lernte er, entweder auf seinen Atem zu achten oder auf seinen Körper, und die Konzentration darauf brachte die Gedanken für eine Weile zum Schweigen. "Es hat mein Leben verändert. Nach 18 Monaten war ich völlig wieder hergestellt."

Das Ich, ein Konstrukt

Tim Parks sagt, er sei kein Buddhist. Nur ein Anhänger gewisser Ideen dieser Kultur. Aber wie fühlt sich ein Autor, der erfährt, dass die buddhistische Philosophie das Ich nur für eine Illusion hält? Eigensinn, Charakter, Persönlichkeit, alles nur mehr Selbsttäuschung, wie der Buddhismus das proklamiert. Tim Parks führt das in seinem Buch aus. Das Ich: Seines Erachtens ein vom Menschen willkürlich errichtetes und dann ebenso nach Bedarf verändertes Konstrukt. Wo doch das Ich die Quelle ist, aus der Schriftsteller gemeinhin schöpfen - ihre individuelle Perspektive auf die Welt?

"Es ist klar, dass eine solche Kultur keine Romane hervorbringen kann", sagt Parks. "Denn der Roman erzählt die Geschichte von Individuen und der Leser identifiziert sich mit den Figuren und wendet die Erzählung auf sein Leben an. Er lernt: Auch ich habe eine Story. Vielleicht lese ich eine ähnliche gerade oder eine, die ich lieber vermeiden würde", so der Professor für literarisches Übersetzen an der Uni in Mailand. "Der Roman entstammt einer individualistischen Kultur und befördert seinerseits den Glauben an ein Ich. Die buddhistische Kultur macht genau das Gegenteil. Sie sagt, ja, das mag alles sehr spannend sein, aber vielleicht ist es dann doch nicht allzu wichtig."

Verlag für Un-Veröffentlichungen

Einer der Gäste des buddhistischen Dasgupta-Instituts ist ein bankrotter Kleinverleger. Seine Frau hatte ihm den Aufbau des Verlages finanziert, später wurde sie zur Alkoholikerin und bereitet ihm nun die Hölle auf Erden. Er schreibt Tagebuch und Beth liest heimlich mit. Sie findet viel Selbstmitleid, das Lamento eines Gescheiterten, aber der Mann hat auch Witz. Seine Idee, ein Un-Publishing-House zu gründen gehört dazu. Schriftstellern wird dort vertraglich zugesichert, dass ihre Manuskripte garantiert nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Oder er skizziert seine Zukunft als Chef eines Buchvernichtungs-Unternehmens. All die überflüssigen Bücher. Er wird die Welt erleichtern und sie schreddern. Schreiben, heißt es im Tagebuch, das sind doch nur "Wucherungen des Geistes". Der Verleger hat insgesamt jeden Glauben an das Gute in der Literatur verloren und mit ihm irgendwie auch Tim Parks:
"Ich habe keine so positive Meinung mehr über das Schreiben, wie ich sie einmal hatte. Nein. Es ist doch nur allzu deutlich, dass die Welt voll ist von Geschichten, die das Leiden ausbeuten."

Tim Parks nennt als Beispiel das Genre der sogenannten Misery-Fiction. Ich frage ihn, ob er auch die düsteren Geschichten von Kafka meide, die ich wegen ihrer traurigen Weisheit schätze. Seine Gegenfrage: Lesen Sie wirklich gerne Kafka? "Nein, es gibt eine Menge Schriftsteller, die panische Angst haben vor dem Leben. Und ihre Texte handeln von den vielen Dingen, die sie unglücklicherweise nicht tun können, weil sie nur darüber schreiben", so Tim Parks.

Aber womöglich empfinden ja nicht nur Schriftsteller diese Angst vor dem Leben, nur immerhin können sie darüber schreiben. Was wiederum für die Leser, denen es zeitweise ähnlich gehen mag, ein Trost sein kann. Worte finden für Leid ist doch der erste Schritt zum Ausgang, oder? Wir rangeln an dieser Stelle ein wenig um die besseren Argumente. Aber Tim Parks bleibt bei seiner Skepsis gegenüber westlicher Literatur, die er allzu freudlos findet. Dabei heißt eine der Phrasen, die im Meditationssaal des Dasgupta-Instituts aus den Lautsprechern schallen: "Sinnliche Freuden sind wie Honig auf der Rasierklinge." Was wohl bedeutet, diese Gefahr solle jeder meiden.

Leben in der inneren Leere

Die Frage ist letztendlich: Was bleibt vom Leben übrig, wenn das Höchste der Gefühle Gleichmut ist, wenn man versucht, Schmerz zu vermeiden? "Ich glaube, der Schmerz, unter dem wir leiden, ist deswegen so groß, weil wir ihn ständig mit neuer Energie versorgen, und weil wir ein Drama daraus machen."

Im Englischen gäbe es für Profis in diesem Fach den schönen Begriff der "Drama-Queen". "Für viele Leute kommt irgendwann die Frage, ob sie weitermachen wollen, sich auf diese Art selbst zu zerstören oder ob es Zeit ist, damit aufzuhören."

Mit Beth hat Tim Parks eine "Drama-Queen" gefunden, die seiner Geschichte vom buddhistischen Weg zur inneren Leere Leben einhaucht. Ohne Beth wäre das Buch ein ungenießbares Glaubensbekenntnis. Dank Beth ist es ein Roman, dessen lange Passagen ernsthafter Unterweisungen in buddhistischem Lifestyle man geduldig erträgt. Sie ist der gelungene und furiose Kontrapunkt zu einem ansonsten eher öden Umfeld. Seite für Seite hofft man darauf, dass Beth das frömmelnde Getue im Retreat auffliegen lässt, dass sie mit ihrer Frechheit, ihrem Witz über Strenge und Absurdität des klösterlichen Alltags siegt. Aber der Autor will das nicht. Die Regeln des heilsamen Schweigens, das Ringen um Leere, der Kampf gegen die zwischenmenschlichen "Anhaftungen": Der Autor will, dass sie sich als stärker erweisen als Beths Lebendigkeit. Er räumt ihnen den Platz einer höheren Weisheit ein. Und das ist schade.

Aber Parks Thema ist seit jeher das Spannungsverhältnis zwischen einer Abwendung vom und einer Hinwendung zum Leben. In vielen seiner Geschichten finden sich beide Tendenzen, häufig verkörpert in einer Person. In "Sex ist verboten" hingegen sind sie sehr klar und ohne grauwertige Zwischenstufen auf zwei Parteien verteilt. Das macht für den Leser die Sympathievergabe zwingend einseitig, und das ist wahrscheinlich vom Autor so nicht beabsichtigt.

Service

Tim Parks, "Sex ist verboten", aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Becker, Kunstmann Verlag

Kunstmann Verlag - Sex ist verboten