Warum wir tun, was wir tun

Die Macht der Gewohnheit

Vor zehn Jahren berichtete Charles Duhigg für die "New York Times" aus Bagdad. Dabei fiel ihm auf, wie sehr das Soldatendasein von Gewohnheiten geprägt ist. Die gesamte Organisation, meint der Autor, beruht auf endlos trainierter Routine.

Auch die Iraker in der Kleinstadt Kufa hatten damals eine Routine: Jeden Tag kam es dort auf einem Platz mehrere Stunden lang zu Ausschreitungen. Ein US-Offizier studierte den Ablauf des alltäglichen Aufruhrs.

"Er verlangte vom Bürgermeister der Stadt, dass die Essbuden auf dem Platz verboten werden", so Charles Duhigg. "Denn damit es zu Krawallen kommt, muss die Menge eine bestimmte Größe erreichen. Das ist ein Prozess, der sich über Stunden zieht. Die Leute wurden natürlich hungrig. Ohne Essbuden gingen sie nach Hause zum Mittag- oder Abendessen. Die Menge würde daher nicht die kritische Masse für einen gewalttätigen Aufruhr erreichen. Einfach dadurch, dass man die Essbuden entfernt hat, gab es neun Monate lang keine Krawalle in der Stadt. Ich habe den Offizier gefragt, wie er auf diese Idee gekommen ist. Das war deshalb, meinte er, weil man ihm beim Militär beigebracht hat, wie wichtig Gewohnheiten sind."

Diese Beobachtung in Kufa brachte Charles Duhigg auf die Idee, ein Buch über Gewohnheiten zu schreiben. Oder besser gesagt: über die Forschung, wie Gewohnheiten sich eigentlich bilden und wie man sie loswerden kann. Den Begriff fasst er dabei eher weit: Auch Suchtverhalten wie Spielen oder Rauchen fällt für den Autor in die Kategorie von Gewohnheiten.

Nun sind Gewohnheiten an sich ja nichts Schlechtes. Wie sehr der Alltag davon bestimmt ist, merkt man erst, wenn man innehält und über jede Handlung, über jeden einzelnen Handgriff einmal ganz bewusst nachdenkt. Charles Duhigg hat folgenden anschaulichen Fragenkatalog verfasst.

Verselbstständigtes Verhalten

Wie entstehen Gewohnheiten? Warum ist es so schwierig, eine schlechte Gewohnheit durch eine gute zu ersetzen? Also beispielsweise nach dem Büro in den Fitnessklub statt mit Kollegen in eine Bar zu gehen? Dieses Verhalten ist für Forscher verschiedener Disziplinen von Interesse: für Psychologen und Neurowissenschaftler ebenso wie für Ökonomen und Marketingexperten. Charles Duhigg behauptet: Was das Verständnis von Gewohnheiten bzw. Gewohnheitsbildung betrifft, lebten wir wahrlich in einem goldenen Zeitalter.

"Vor allem in den letzten zehn Jahren haben wir durch die Fortschritte in den Neurowissenschaften sehr viel dazugelernt", sagt Duhigg. "Wir wissen nun: Eine Gewohnheit ist ein automatisches Verhalten. Es resultiert aus einer Entscheidung, die man irgendwann einmal getroffen hat. Später hat sich das Verhalten, ohne dass man die gleiche Entscheidung getroffen hat, einfach verselbständigt. Jede Gewohnheit setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen: Da ist erstens das Signal; der Auslöser sozusagen für das automatische Verhalten. Zweitens die Routine, also das Verhalten selbst. Und schließlich die Belohnung. Und die Belohnung ist verantwortlich dafür, dass sich das Gehirn an das Verhaltensmuster immer wieder erinnert."

Will man sich etwas abgewöhnen, muss man die richtige Strategie parat haben. Doch die meisten, so der Autor, setzen am falschen Punkt an: "Viele konzentrieren sich auf das Verhalten selbst, also auf die Routine. Aber von Experimenten wissen wir, dass das Signal und die Belohnung für das Entstehen des Verhaltens verantwortlich sind. Das muss man wissen, wenn man eine Gewohnheit ändern will.

Kekse für sozialen Kontakt

Während er das Buch schrieb, machte Charles Duhigg gleich an sich selbst die Probe aufs Exempel. Er hatte nämlich eine Gewohnheit, die er gerne loswerden wollte. Diese war daran schuld, dass er im Laufe der Zeit ein paar Kilos zugenommen hatte. Jeden Nachmittag ging der Autor in die Kantine der "New York Times" und kaufte dort einen ganz köstlichen Keks mit Schokostückchen. Er fragte die Wissenschaftler, die er für sein Buch interviewte, wie er sich den täglichen Nachmittagskeks abgewöhnen konnte. Und die gaben ihm einen brauchbaren Ratschlag:

"Als Erstes muss man also, wie gesagt, das Signal identifizieren. Es gibt fünf verschiedene Kategorien von Signalen. Das kann sein: die Tageszeit oder eine bestimmte Emotion; ein bestimmter Ort; die Gegenwart von bestimmten Menschen; oder ein bestimmtes Verhalten, das der Gewohnheit sozusagen rituell vorangeht. Jeden Tag, wenn sich das Verlangen nach dem Keks regte, habe ich diese fünf Kategorien aufgelistet: wie spät es war, wo ich mich gerade aufhielt usw. Nach einer Weile hat sich gezeigt, dass ich die Sehnsucht nach dem Keks immer zwischen drei und dreiviertel Vier am Nachmittag verspürte. Das Signal war in meinem Fall also die Tageszeit."

Was war die Belohnung? Das, dachte sich Charles Duhigg, konnte doch wohl nur der Keks sein. Nein, nein, sagten die Neuroforscher. Belohnungen seien vielschichtiger. Und dann wurde dem Autor klar: Die eigentliche Belohnung am Nachmittag war tatsächlich nicht der Keks, sondern dass er – wenn er den Keks kaufen ging - mit Kollegen in der Kantine plaudern konnte. Der Keks war die Entschuldigung für sozialen Kontakt.

Gewohnheiten verändern

Wie mächtig ist Gewohnheit? So mächtig, dass sie nicht nur das Verhalten des einzelnen, sondern das eines ganzen Unternehmens verändern kann. Das gelang Paul O'Neill, 1987 bis 1999 Vorstandschef des Aluminium-Herstellers Alcoa. Alcoa war ein marodes, defizitäres Unternehmen. Paul O'Neill brachte Alcoa auf Vordermann, indem er die gesamte Belegschaft auf einen Kurs einschwor: den Aluminium-Hersteller zum sichersten Unternehmen der USA zu machen.

"Sicherheit am Arbeitsplatz war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den alle sich einigen konnten", erzählt Duhigg. "Denn das ist wirklich wichtig. Und wenn man Sicherheit in den Mittelpunkt stellt, verändert sich in der Folge alles. Zum Beispiel die Art und Weise, wie die Leute miteinander kommunzieren. Wenn der Manager nun weiß, es gibt Konsequenzen, wenn es in seinem Bereich zu einem Unfall kommt, dann muss er zwangsläufig mit den Arbeitern reden, wie sie glauben, dass man Unfälle am besten verhindern kann. Das heißt: Die Kommunikationsgewohnheiten müssen sich ändern."

Paul O'Neill bewirkte also eine Kettenreaktion von Verhaltensänderungen, die sich auf verschiedene Weise überall im Unternehmen auswirkten. Alcoa wurde dadurch nicht nur eines der sichersten Unternehmen in den USA, sondern auch wieder profitabel.

Service

Charles Duhigg, "Die Macht der Gewohnheit. Warum wir tun, was wir tun", aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt, Berlin Verlag

Berlin Verlag - Die Macht der Gewohnheit