Bibelkommentar zu Jesaja 55, 6 - 13

In diesem Text geht es um die Wirkung des Wortes Gottes. Eigentlich ist das ja immer Thema der Verkündigung, aber Lesung und Predigttext bringen es gemäß der Leseordnung für den evangelisch-lutherischen Gottesdienst an diesem Sonntag explizit zur Sprache.

Die Lesung stammt aus dem Lukasevangelium und weist mit dem Gleichnis vom Sämann auf die sehr unterschiedliche Aufnahme des Wortes Gottes hin. Der Samen des Sämanns fällt nicht nur auf fruchtbaren Boden, sondern auch auf felsigen Grund, auf Wege und unter Dornen. Aber jenes Viertel, das durchschnittlich auf fruchtbaren Boden fällt, das bringt hundertfach Frucht. Ein Trostwort für alle Prediger, die nach der Wirkung ihrer Worte fragen. Aber das allein kann es ja nicht sein.

Der eben gehörte Predigttext mit seiner Kernaussage "meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege" scheint das Mysteriöse, das Unverständliche am Handeln Gottes und am Weg des Menschen mit Gott zu bestätigen, ohne es freilich zu erklären.

Am Beginn dieses Jesajatextes steht der Ruf zur Umkehr. Wie überhaupt in diesem Wort des Propheten viel von Weg, Bewegung und Aktion zu finden ist. Der allgemeinen Aufforderung, Gott zu suchen, folgt in Vers 7 die Konkretisierung, die bösen Gedanken und Wege zu verlassen und sich dem barmherzigen Gott zuzuwenden. Bei Gott ist "viel Vergebung", sagt der Prophet, und deutet damit ein Prinzip des neuen Weges an: Geben und vergeben zu können.

Vielen Menschen fällt das nicht leicht, Gott - so wie ihn Jesaja versteht - schon. Das ist eine Interpretation der unterschiedlichen Wege und Gedanken Gottes und der Menschen. Gottes Wege und Gedanken sind offener, freundlicher, zuversichtlicher als sich Menschen das selbst zutrauen und zuschreiben.

Und auch wenn Menschen sich selbst und ihre Lebenssituation als mangelhaft, schrecklich, beengend und hoffnungslos einschätzen und sehen, und sie manchmal auch so ist, so können Menschen ähnliches erleben wie die Erde nach einem Regen. Aufbruch, Wachsen und Gedeihen, alles ist wieder möglich.

Die eben gehörte Botschaft des Propheten erreichte das Volk Israel um ca. 550 vor Christus in der Zeit des Exils in Babylon, in der Gefangenschaft bei einem fremden Volk. Alles andere als eine einfache Zeit. Aber die Wirklichkeit mag sein wie sie ist, sie definiert nicht die Bestimmung des Menschen oder gar den Menschen selbst.

Interessant ist auch das Ziel, das der Prophet im Vers 12 angibt. Das Ziel ist nicht, dass sich Menschen von der Welt abwenden, dass sie in einem abgehobenen Sinn heilig werden. Das Ziel ist nicht, dass sie die eigenen, menschlichen Wege verlassen und sozusagen geistlich eine Himmelfahrt vollziehen und versuchen, göttlich zu werden. Das Ziel ist, dass Menschen mit Freuden ausziehen und aufbrechen hinein in die Welt. Aufbrechen zu ihrem Menschsein. Dass sich Menschen selbst als von Gott Geschaffene annehmen und so unterwegs sind zur Freiheit, zur Liebe, zur Vergebung.

Das ist eine ganzheitliche Erfahrung. Menschen, die mit dieser Freude, mit dieser Sicherheit und mit diesem Frieden unterwegs sind, die lassen auch die Berge und Hügel frohlocken und die Bäume in die Hände klatschen. In dieser Welt lässt sich gut leben für die Menschen, für die Tiere und für die Natur.

Dieser Text hat für mich eine ganz eindeutige Botschaft, die sagen will: Sie und ich, wir leben in einer Gottesbeziehung, die im Bild der Bedeutung des Regens für die Erde ausgedrückt werden kann. Sie besteht in erster Linie darin, den Menschen Mensch sein zu lassen. Das kann ich annehmen ohne große religiöse Gefühle, ohne die Vorbedingung, edel und gut zu sein, ohne alle Geheimnisse erkennen zu müssen.

Für Menschen kann diese Erfahrung eine ungeheure Quelle für ihr Denken, Handeln und Leben werden. Es ist eine Botschaft gegen Resignation und Verunsicherung, gegen Miesmacherei und Weltuntergangsstimmung. Lohnt es sich überhaupt, sich einzusetzen und sich einzubringen, das fragen sich viele immer wieder. Die Lehrerinnen und Lehrer, die sich Jahr für Jahr daranmachen, Kinder und Jugendliche zu unterrichten; die Eltern, die ihre Kinder lebensfest machen wollen; die Politiker, die der Stadt Bestes suchen; die Pfarrerinnen und Pfarrer, die predigen und predigen. Manchmal, da geht es ihnen wie dem Propheten Jeremia, der gemäß biblischem Bericht nicht ganz freiwillig das Prophetenamt angenommen hat und dann auch noch erleben muss, dass er nicht ernst genommen wird, scheinbar ganz und gar erfolglos ist.

Manchmal verstehen Menschen diesen Gott nicht, der sagt: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und Eure Wege sind nicht meine Wege. Sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Gott sei Dank, sage ich, Gott sei Dank ist nicht unser Denken und Tun Maßstab für die Entwicklung und für die Zukunft der Menschen und der Welt.