Expert/innen zum Thema Entschleunigung
Fluchtwege aus der schönen, neuen Medienwelt
8. April 2017, 21:58
Anitra Eggler ist Kommunikationsexpertin. Das merkt man schon allein an der prägnanten, eindringlichen Sprache, die sie verwendet. "Facebook macht blöd, blind und erfolglos" heißt denn auch ihr neuer Ratgeber, der Ende März erscheint. Wie schon das Vorgänger-Buch "E-Mail macht dumm, arm und krank" richtet er sich an alle, die bereits mehr Zeit im Internet verbringen als außerhalb. Gerade soziale Netzwerke hätten ein hohes Sucht-Potenzial, erklärt Anitra Eggler.
Facebook-Freundschaften sind in der Regel oberflächlicher; dennoch knüpfen sich an virtuelle Beziehungen ähnliche Erwartungen wie an reale: Das Gefühl, möglichst schnell auf Postings oder Nachrichten reagieren zu müssen, präsent zu bleiben, und die Kränkung, wenn man selbst keine Reaktion erhält, führt zu Belastungen. Künstlerinnen und Kreative, die soziale Netzwerke professionell nutzen, um sich und ihre Arbeit zu präsentieren, sind besonders anfällig für das Gefühl, ständig online sein zu müssen.
Für den professionellen Internet-Auftritt vertritt Anitra Eggler den Standpunkt "Weniger ist mehr": Gerade Kunstschaffende sollten sich überlegen, welche Kanäle sie nutzen wollen: Eine eigene Homepage sei unverzichtbar, ein Facebook-Auftritt nicht in allen Fällen notwendig.
Digitale Therapie
Die Autorin bezeichnet die Ratschläge, die sie in ihren Büchern gibt, als "digitale Therapie": Sie selbst habe 15 Jahre lang als Journalistin, Kreativdirektorin und Online-Verlagsgeschäftsführerin gearbeitet und dabei vier Jahre lang mit E-mailen und Surfen vergeudet, schreibt Eggler auf ihrer Homepage. Genau das wolle sie ihren Leser/innen nun ersparen, erklärt die heute selbstständige Kommunikationsexpertin.
Ihr schriller Internet-Auftritt täuscht: In den Wochen, in denen sie am Buch arbeitete, habe sie ihre Homepage kein einziges Mal aktualisiert, so Eggler. Gerade Menschen, die im Kreativbereich arbeiten, rät sie, an mindestens einem Tag pro Woche offline zu sein.
Burn-out-Gefahr
Wer sich dem ständigen Kommunikationsstress aussetzt, gefährdet aber nicht nur Freundschaften und beruflichen Erfolg, sondern auch die Gesundheit. In seinem Gesundheitszentrum "The Tree" behandelt und berät der Wiener Neurologe und Burnout-Spezialist Wolfgang Lalouschek Menschen, die ihren Stress nicht mehr selbst bewältigen können und an Burnout-Symptomen leiden. Zu seinen Klienten zählen nicht wenige Kunstschaffende, Kreative oder Menschen in Kommunikationsberufen. Gerade freischaffende Künstler seien aus mehreren Gründen anfällig für "Kommunikationsstress", so Lalouschek.
Einen Altersunterschied sieht der Neurologe übrigens nicht: Es gebe keine Anzeichen, dass die sogenannten "Digital Natives" Stressbelastungen aus dem Internet besser bewältigen als ältere Personen. Das Nervensystem stoße eben an natürliche Grenzen. Für jede Altersgruppe gelte: Wer seine Kreativität schätzt oder sogar mit ihr arbeitet, sollte seine Internet-Nutzung unter Kontrolle behalten.