Bewegende Bilder
Die Café Sonntag-Glosse von Severin Groebner
Kürzlich steh ich da und ich sag mir „Jetzt ist es passiert.“ Auf einer Toilette eines Lokals lief doch tatsächlich ein Fernseher. Gleich über dem Pissoir. „Jetzt ist es passiert“, hab ich mir gedacht, „jetzt kann man nicht mal mehr in Ruhe sch...ön austreten.“
8. April 2017, 21:58
Überall bombardieren einen schnelle, witzige, wahnsinnige, trendige, coole, flashige, trashige bewegte Bilder. 24 pro Sekunde. Es nervt.
Wie schön, dachte ich mir eingehüllt in die wohlige Atmosphäre des Raums der dampfenden Kacheln, wie schön wären doch dagegen mal wieder bewegende Bilder. Die sind stiller.
Können sie ja auch locker sein, denn bei den bewegenden Bildern bewegt sich natürlich der Betrachter. Ach, so... Um dem Kulturauftrag des Senders gerecht zu werden, müsst es heißen, der Spectator ist in persona der Dislocation verpflichtet. Sag ich aber nicht.
Denken wir nur an berühmte Bespiele bewegender Bilder. Die Mona Lisa. Die ist Ihnen wurscht, werden Sie vielleicht sagen, und damit könnten sie auch Recht haben. Nichts desto trotz bewegt sie hunderte von Menschen jeden Tag. Und zwar in das Pariser Louvre hinein, vor die Mona Lisa hin und auch wieder aus dem Louvre hinaus. Klingt nach Kunst-Perestaltik und so ist es auch ein bisschen.
Oder das Bild eines vom römischen Reich qualvoll hingerichteten Menschen, der mit Händen und Füssen an ein Kreuz genagelt wurde, dieses Bild hat hunderte Jahre lang - und auch noch heute - Menschen dazu veranlasst grundlos in die Knie zu gehen. Manchmal bewegen sie dazu noch stundenlang kleine Holzketten zwischen ihren Fingern.
Zu einer anderen Form von spiritueller Gymnastik können Menschen bewegt werden, wenn sie das Bild des Propheten Mohammed sehen. Kaum passiert, laufen sie schon auf die Straßen, schreien herum und verbrennen Flaggen von Ländern, in die sie nur schwer einreisen dürften. Interessanter Weise reicht es hier sogar bisweilen, wenn die Menschen das Bild gar nicht sehen, sondern lediglich davon erzählt bekommen.
Eine ähnliche Form der Erregung lösen ab und zu Bilder von nackten Menschen aus. Da zetert schon so mancher, pudelt sich auf, empört sich moralisch und das obwohl er selbst schon sehr lang von niemandem mehr wohl wollend in seiner Nacktheit betrachtet worden ist. Denn natürlich gibt es auch Leute, die auf nackte Menschen auch ganz anders reagieren. Nicht weniger emotional. Aber doch ganz anders.
Und selbst als die Bilder laufen gelernt haben, sind zuerst einmal die Menschen bewegt worden. Denn als die Gebrüder Lumiere einst einen ihrer ersten Filme, in dem eine Lokomotive in einen Bahnhof einfährt, in einem Pariser Café gezeigt hatten, sind die meisten Gäste entsetzt aufgesprungen und hinausgelaufen. Aus lauter Angst! Reflexartig! So bewegt waren sie! Gut, ein paar wollten vielleicht auch nur die Rechnung nicht bezahlen...
All das denk ich mir, während ich vor lauter Berieselung durch bewegte Bilder nicht zum Abschlagen des Wassers komme. Irgendwie kann ich nicht, wenn ich dabei beflimmert werde. Also geb ich auf, pack ein, geh zu meinem Tisch zurück, zahl und geh. Bewegt von den Bildern des Bildschirms geh ich... wo anders hin. Irgendwohin, wo man in Ruhe pinkeln kann