Der schumpetersche Wettbewerbsstaat

Als Digerati, Cognitariat, kreative Klasse, Schwarmkapitalisten, Technokraten, Open-Source-Heilige, Prekäre, Dotcom-Gurus, bezeichnete man in den 1990er Jahren die von Joseph Schumpeter geschaffene Theoriegestalt des "kreativen Unternehmers".

Die "kreative Zerstörung" war eine zentrale Idee der evolutionären Wirtschaftstheorie Schumpeters, die dieser in den 1920er und 1930er Jahren entwickelt hatte. Wirkliche Innovationen sind nicht einfach nur neu sondern auch zerstörerisch. Sie machen bestehende Industrien obsolet und eröffnen ganz neue Wege, wie Dinge getan werden können. Deshalb werden sie zunächst auch bekämpft, weil die Platzhirschen des jeweiligen Sektors zu recht um ihre Einnahmequellen fürchten. Und aus diesem Grund braucht es besonders mutige Menschen, um das Neue einzuführen.

Schwarz-weiße Kreise

(c) ORF

In den 1990er Jahren popularisierte der neoliberale amerikanische High-Tech Guru George Gilder die Ideen Schumpeters. Die New Economy, die sich zusammenbraute wie ein Sturm des Neuen, der alles Alte hinwegfegen würde, schien die Richtigkeit von dessen Theorien zu beweisen. Das Magazin Wired rief die "digitale Revolution" aus und präsentierte den kreativen Zerstörer gerne auf seinen Titelseiten.

In der Ära Bill Clintons schienen die USA einen neuen erfolgversprechenden Weg vorzugeben. In den 1980er Jahren hatte es noch so ausgesehen, als hätten die USA das Heft der Innovation aus der Hand gegeben. Mit dem Web und dem Internetzeitalter wurde die Initiative wieder zurückerobert. Die Erfolge der neuen Internet-Industrien wurden als Argument gegen den Sozialstaat eingesetzt. Europa sei weniger innovativ, hieß es, weil es zu viele Vorschriften und Barrieren gäbe. Der neoliberale Umbau der Wirtschaft sei die einzige Möglichkeit, zu schnellerem Wachstum zurückzukehren.

Politiker und Technokraten braucht man heute nicht von der Wichtigkeit der Innovation zu überzeugen. Deren Anrufung als heiligstes Prinzip ist so sicher wie das Amen im Gebet. Die Idee von der "kreativen Zerstörung" entwickelte eine solche Anziehungskraft, dass Regierungen begannen, das Innovations- und Bildungssystem darauf auszurichten. Die "Klasse des Neuen"+ soll nicht länger dem Zufall überlassen, sondern bewusst herangezüchtet werden.

Alle sollen dauernd innovieren. Das hat sich die EU mit dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2000 offiziell auf die Fahnen geschrieben. Seither soll Europa zum innovativsten Wirtschafts- und Wettbewerbsraum werden. Mit der gesamten Lissabon-Agenda und dem Bologna-Prozess wurde und wird versucht, Ausbildung, Forschung und Produktinnovation so eng wie möglich zusammen zu spannen.

Einerseits wird relativ viel in Forschung und Entwicklung investiert, vor allem auf der Basis einer einseitigen Ausrichtung auf sogenannte Exzellenz-Programme. Für die Masse der Student/innen gibt es McBildung mit BA und MA im Eilzugverfahren. Im selben Zeitraum, als diese Reformen erfolgten, ist die soziale Ungleichheit europaweit ebenso wie auch in Österreich massiv gewachsen.

Der englische Ökonom Bob Jessop nennt diese Ausrichtung den "schumpeterschen Wettbewerbsstaat". Soziale Ungleichheit wird von den Staaten in Kauf genommen, weil man hofft mit dem Fokus auf Eliten neues Wachstum durch Innovation erzielen zu können. Diese Entwicklung Schumpeter in die Schuhe zu schieben, ist allerdings ungerecht. Denn dieser verstand sehr wohl, dass es eine einseitige Innovation auf Knopfdruck nicht geben kann.

Die Einführung neuer Technologien bringt auch sozialen Wandel mit sich. Mit neuen Technologien wie dem "social web" lernen die Menschen, Dinge auf neue Art miteinander zu tun. Es entstehen neue Sichtweisen, neue Vorstellungen vom Zusammenleben, neue Organisationsformen, kurzum: die technologische Revolution ist immer auch eine soziale. Und das heißt, dass durch kreative Zerstörung auch alte soziale Hierarchien hinweggefegt werden. Das haben die Architekten des schumpeterschen Wettbewerbsstaats aber wohl kaum im Sinn.

Armin Medosch, Autor und Medienwissenschaftler

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+ Richard Barbrook, "The Class of the New", London: Metamute

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