Tunesien: Neue Regierung angekündigt

Nach der Ermordung des führenden tunesischen Oppositionspolitikers Chokri Belaid gestern und heftigen Protesten will Tunesiens Ministerpräsident Jebali die von den Islamisten dominierte Regierung auflösen. Bis zu Neuwahlen im Sommer soll eine unabhängige Expertenregierung eingesetzt werden. In Tunis und anderen Städten des Landes kam es am Abend zu weiteren Protesten.

Morgenjournal, 7.2.2013

Expertenregierung bis zur Wahl

Die Frau des erschossenen Belaid hatte der regierenden Ennahda-Partei in mehreren Interviews vorgeworfen, sie sei für den Tod ihres Mannes verantwortlich. Auch Demonstranten machten Anhänger der Islamisten für die Bluttat verantwortlich. Der Jurist Belaid trat für die Trennung von Staat und Religion ein und galt in Tunesien als einer der schärfsten Gegner der Regierung. Der 48-Jährige führte die kurz nach der Revolution gegründete Oppositionspartei "Bewegung der demokratischen Patrioten" an.

Wie Ennahda-Ministerpräsident Jebali in einer Rede im tunesischen Fernsehen sagte, will er eine Regierung mit parteilosen Experten bilden, die bis zu regulären Wahlen in diesem Sommer amtieren soll. Priorität dieser Regierung werde es sein, eine Verfassung auf die Beine zu stellen, für die Sicherheit des Landes zu sorgen und gegen die hohen Lebenshaltungskosten vorzugehen. Wann genau die alte Regierung aufgelöst und eine neue eingesetzt werden soll, sagte er nicht.

Gewaltsame Proteste

Mehrere tunesische Oppositionsgruppen hatten zuvor zu einem Generalstreik aufgerufen. Sie kündigten an, vorerst nicht mehr in der verfassungsgebenden Versammlung mitarbeiten zu wollen. Bei Massenprotesten setzten Demonstranten die Zentrale der Ennahda-Partei in Brand. Ein Polizist kam bei gewaltsamen Zusammenstößen ums Leben.

Führende EU-Politiker zeigten sich besorgt. Belaïd ist bereits der zweite Oppositionspolitiker, der seit dem Sturz von Langzeitpräsident Zine al-Abidine Ben Ali Anfang 2011 gewaltsam ums Leben kam. Im vergangenen Oktober starb bereits Lotfi Naguedh nach einem Angriff von Regierungsanhängern. Er soll nach einer Prügelattacke einen Herzinfarkt erlitten haben.

Regierungspolitiker wiesen in Stellungnahmen jegliche Verantwortung für den neuen Mordfall zurück. Staatspräsident Moncef Marzouki bezeichnete die Tat in einer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg als Versuch, einen Keil zwischen das säkulare und das islamistische Lager zu treiben. Marzouki vertritt die Mitte-Links-Partei "Kongress für die Republik" (CPR) in der von den Islamisten geführten Koalition. Dritte Kraft ist die sozialdemokratische Partei Ettakatol (FTDL) um Mustapha Ben Jaafar. Er leitet die verfassungsgebende Versammlung. (Text: APA, Red.)