Joachim Bißmeier ist Hörspiel-Schauspieler des Jahres 2012

Sir Joachim

Zuletzt spielte der große hagere Mann einen anderen großen hageren Mann. Einen, der die deutsche Nachkriegsgeschichte wie kaum ein Zweiter prägte. In dem Fernseh-Zweiteiler "Stunden der Entscheidung", einem sogenannten Dokudrama, verkörpert Joachim Bißmeier niemand Geringeren als Konrad Adenauer.

"Grandios und präzise", befanden die Lübecker Nachrichten, die FAZ sprach gar von der "Rolle seines Lebens". Joachim Bißmeier sieht das etwas gelassener. Superlative sind ihm fremd. Er ist schon zu lange im Geschäft, hat zu viele Rollen im Theater, im Film oder im Fernsehen gespielt um sich jetzt, in seinem achten Lebensjahrzehnt, auf eine Einzelleistung festnageln zu lassen.

Joachim Bissmeier (r.) als Heinrich und Ruth Brauer-Kvam als Sonja

Joachim Bissmeier spielte 2008 an der Seite von Ruth Brauer-Kvam im Stück "Besuch bei dem Vater" am Theater in der Josefstadt.

(c) Schlager, APA

Intensiv und ausgefüllt

"Bescheidenheit und Zurückhaltung", sagt der 1936 in Bonn als Sohn eines Schauspielers und einer Sängerin geborene Joachim Bißmeier, seien ihm in die Wiege gelegt worden. Aufgewachsen ist er in Ostfalen bei seinen Großeltern auf dem Lande. Das schlimmste Schimpfwort damals sei "Großmaul" gewesen. Selbst als er Jugendmeister im Weitsprung wurde, durfte damit weder geprotzt noch geprahlt werden. Heute könne er gar nicht anders als sich zu bescheiden. Er sei eben kein Showmensch, sagt Joachim Bißmeier, er ziehe sich unauffällig an und er bleibe am liebsten zurückgezogen und privat. Kurzum: Joachim Bißmeier entspricht so gar nicht dem gängigen Klischee, wonach Schauspieler exaltiert, exzentrisch, und überdreht sein müssen. Seinen Rollen nähert er sich mit Vorsicht. Er hat keinen Leib- und keinen Lieblingsregisseur, neue "Sachen" reizen ihn mehr als "Altbekanntes", niemals wollte er "punziert" oder auf ein Fach "festgelegt" werden. Er liebt, sagt Joachim Bißmeier, Stücke die sich nicht gleich "auf den ersten Blick erschließen". Und er mag Texte und Themen, die ihn in der Vorbereitung eine "Weile beschäftigen".

Unter den großen Schauspielern der Gegenwart ist Joachim Bißmeier vielleicht der Unbekannteste. Und das, obwohl seine Wirkungsstätten sich lesen wie das Verzeichnis der renommiertesten Theater im deutschsprachigen Raum. Von 1965 bis 1992 war der vielfach Ausgezeichnete Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, er spielte an der Schaubühne Berlin, im Berliner Ensemble, im Staatstheater Stuttgart, im Residenztheater München, in Frankfurt, in Zürich und bei den Salzburger Festspielen. Er spielte in Stücken von Strindberg und Goethe, er spielte Schnitzler, Büchner, Hofmannsthal und Moliere - und immer wieder Thomas Bernhard. Dazu kommen Film- und Fernsehrollen sonder Zahl, unter anderem spielte er an der Seite von Diane Kruger, John Malkovich oder Michel Serrault.

Dennoch, sagt Joachim Bißmeier in der ihm eigenen, ebenso stillen wie unmissverständlichen Art, würde er nach mehr als fünfzig Jahren auf der Bühne und vor der Kamera, nicht von einer "großartigen Karriere" sprechen, eher schon von einer "intensiven und ausgefüllten Zeit".

Theater und Radio

Obwohl seine Eltern in ihren künstlerischen Berufen keineswegs "erfolgreich" gewesen seien, habe er nie eine "Alternative zum Schauspiel gewusst". Schon in der Schule hatte er bei Schulaufführungen das Gefühl, er könne das "besser". Folgerichtig absolvierte er eine Schauspielausbildung an der Folkwangschule in Essen und debütierte 1960 in Wuppertal in Shakespeares "Othello". 1964 zog es ihn ans Theater der Courage nach Wien, ein Jahr später folgte das erste Engagement an der Burg. Aus denselben Jahren datieren auch die ersten Arbeiten für den Rundfunk. Bereits 1966 verzeichnet das Archiv das erste Hörspielengagement, "Die Baracke des Glücks", von Fritz Habeck. Seither ist Joachim Bißmeier kontinuierlich für den Rundfunk tätig. Es folgten Hörspiele nach Texten von Friedrich Heer und Peter Handke, von Franz Wedekind und Peter Henisch, von Julian Schutting, Franz Grillparzer, Peter Ustinov oder Russell Graves.

Dabei, sagt Joachim Bißmeier ohne jede Koketterie, hatte er immer das Gefühl er "könne das nicht". Er hörte sich nicht gerne, er meinte mit dem Mikrofon nicht umgehen zu können und war zudem der Ansicht, man verstünde ihn nicht, wenn man ihn bloß hört und nicht sieht. Erst bei den letzten beiden Großproduktionen, dem vom Ö1 Publikum zum "Hörspiel des Jahres 2010" gewählten "Die kleineren Reisen", einem Zweipersonenstück von Alois Hotschnig und der sehr österreichischen Rechts- und Restitutionsparabel "Kannitz" nach dem gleichnamigen Buch von Alfred J. Noll, habe er den Eindruck gehabt, es könnte klappen.

In "Kannitz" spielt Joachim Bißmeier einen steinalten, an den Rollstuhl gefesselten, ehemaligen Präsidenten des Verwaltungsgerichtshof, dessen Pflichttreue durch die Begegnung mit dem aalglatten und kosmopolitischen jüdischen Rechtsanwalt Dr. Isidor Hoffer, dargestellt von Gert Voss, einer schweren Prüfung unterzogen wird. In "Die kleineren Reisen" schlüpft Joachim Bißmeier ebenfalls in die Rolle eines alten Mannes. Gemeinsam mit seiner Frau (Julia Gschnitzer) wehrt er sich gegen das Alter und das Altersheim, kämpft gegen das Vergessen an und schwelgt in mittlerweile lückenhaften Erinnerungen an gemeinsame Reisen und an gemeinsame Mahlzeiten. Beiden Rollen ist eine gewisse Distanziertheit und eine gewisse Intimität gleichermaßen zu eigen. Erst da, so Bißmeier, hätten - wohl auch dank der Mitspieler und der Regisseure - das Medium Radio und er zueinander gefunden.

Sprachkunst

Glücklicherweise beurteilten die Hörspielregisseur/innen und die Redakteur/innen von Ö1 Joachim Bißmeiers Radioqualitäten von Anbeginn an gänzlich anders. Mit gezählten 69 Hörspielarbeiten in viereinhalb Jahrzehnten ist der Schauspieler des Jahres 2012 in Österreich zumindest Weltrekordhalter. Kein anderer Schauspieler und keine andere Schauspielerin hat in mehr Hörspielen mitgewirkt als "Sir Joachim". Dazu kommen Texte und Radiogeschichten, Romane in Fortsetzungen, Lyrikinterpretationen für "Du holde Kunst", Features und Dokumentationen. Wer auf Sprachkunst Wert legt - und das tut Ö1 nun einmal - will auf gar keinen Fall auf die sich nie in den Vordergrund drängende, präzise Stimme von Joachim Bißmeier verzichten. Was für das Theater gilt, gilt hier in gewisser Weise auch für das Radio. Dadurch, dass Joachim Bißmeier als Person stets zurückhaltend bleibt und sich für jede Rolle neu erfindet, bleibt er - selbst nach Jahrzehnten - unverbraucht.

Das Hörspiel-Regieteam hat, gemeinsam mit der Redaktion, Joachim Bißmeier für seine Gesamtleistung einstimmig zum "Schauspieler des Jahres 2012" gewählt. Die Ehrung findet im Rahmen der Ö1 Hörspiel-Gala am 1. März 2013 im Wiener Funkhaus statt. Die Laudatio wird Martin Sailer halten. Er hat mit Joachim Bißmeier und Julia Gschnitzer "Die kleineren Reisen" von Alois Hotschnig inszeniert. Jenes Stück, das vom Ö1-Publikum zum "Hörspiel des Jahres 2010" gewählt wurde. Wir freuen uns – und gratulieren herzlich.