Roman von Eva Menasses

Quasikristalle

Nach ihrem Debütroman "Vienna" und dem Erzählband "Lässliche Todsünden" erscheint dieser Tage der jüngste Roman von Eva Menasse im Verlag Kiepenheuer und Witsch. Er trägt den Titel "Quasikristalle" und ist die bruchstückhafte Biografie einer Frau, deren Lebensgeschichte aus 13 verschiedenen Perspektiven und unterschiedlichen Entfernungen geschildert wird.

Mittagsjournal, 8.2.2013

Judith Hoffmann

"Quasikristalle" sind Kristalle mit teils fünffach symmetrischer Struktur ohne periodischem Muster. Sie folgen also einer Ordnung, die sich herkömmlicher Logik zu entziehen scheint und die man daher lange Zeit nicht für möglich gehalten hat.

"Für mich ist 'Quasikristalle' eine Metapher für das, was ich versucht habe: eine Biografie aus teils extrem verschiedenen Perspektiven zu schreiben, weil ich nicht an eine logische Biografie glaube. Menschen sind nicht logisch", meint die Schriftstellerin über den Titel ihres Romans.

Eva Menasse schildert das Leben der Protagonistin Xane Molín nicht als durchgängige Erzählung, sondern teilt sie in 13 fragmentarische Episoden. Manchmal sind es nahestehende, manchmal völlig fremde Personen, die dem Leser für einige Zeit ihren Blick und ihre Wahrnehmung leihen. Da ist der Universitätsprofessor, der sich auf einer Exkursion nach Ausschwitz in die junge Xane verliebt, die pubertierende Stieftochter, die sie stets als nervenden Störfaktor betrachtet, oder die junge Journalistin, die Xane gar nicht kennt, sondern rein zufällig von ihrer Dachterrasse aus auf einer Parkbank sitzen sieht.

Brüche, Leerstellen und Lücken

Ob als eine von zahlreichen Patientinnen in der Kinderwunschklinik oder als Mieterin eines gutbürgerlichen Wiener Hausbesitzers, die Protagonistin des Romans wird in allen Episoden selbst zur Nebenfigur. Ihre Gegenwart ist wie ein roter Faden, der die einzelnen Kapitel verbindet und diametrale Figuren am Ende doch zusammenführt. Wie im Vorbeigehen erschließt sich ihr Charakter im Laufe des Romans, zusammengesetzt aus teils intensiven, teils flüchtigen Beobachtungen, aber bis zuletzt mit zahlreichen Lücken und Leerstellen versehen.

Eva Menasse dazu: "Meine Erfahrung als Leserin und als Liebhaberin von Literatur ist, dass die Lücke das Interessante ist - das, was mir der Autor nicht erzählt, wo ich sozusagen im Kopf eine Brücke bauen muss von einer Information zur anderen. Bei dieser Biografie habe ich versucht zu schauen, wie viel kann ich weglassen und es bleibt trotzdem eine ganze Geschichte?"

Porträt aus Mosaiksteinchen

Nur einmal, genau in der Mitte des Romans, kommt die Protagonistin selbst zu Wort und schildert ihre Situation zwischen festgefahrener Ehe und beruflichen Herausforderungen. Und auch diese Episode bleibt das Abbild eines Augenblicks, ohne Hang zu erschöpfenden Erklärungen. Die Protagonistin verrate eben nicht, ob die fremden Darstellungen der vorangehenden Kapitel richtig oder falsch sind, erklärt Eva Menasse, auch nicht, ob sie in Wirklichkeit leidenschaftlicher oder langweiliger ist, als wir bis jetzt annahmen. Es handle sich einfach um einen weiteren Mosaikstein im Porträt der Xane Molin.

"Quasikristalle" ist ein Roman ohne durchgängige Handlung, ohne Spannungsmomente, ohne Höhe- und Wendepunkte. Es ist vielmehr eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, aus denen sich nach und nach das Bild einer Frau herauskristallisiert, das vor allem durch die unterschiedlichen Perspektiven interessant ist, aus denen es gemalt wird, und durch seine weißen Flecken, die bis zum Schluss als Zwischenräume bleiben.

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Eva Menasse, "Quasikristalle", Kiepenheuer & Witsch

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