Die Lateralität der Menschen
Nur für Linkshänder
Schätzungen besagen, dass etwa 25 Prozent der Menschen als Linkshänder geboren werden. Ihnen und dem allgemeinen Prinzip der Lateralität, der Händigkeit von Menschen, Tieren, Molekülen und sogar des Universums, hat Sebastian Jutzi sein neues Buch gewidmet.
8. April 2017, 21:58
In "Nur für Linkshänder" ist, anders als der Titel vermuten lässt, für jeden etwas dabei. Interessieren sie sich für Tiere? 50 Prozent der Wellensittiche sind Linkshändern, bei den Helmkakadus bevorzugen sogar alle Artgenossen die linke Kralle.
Politische Fragen? Barack Obama, Bill Clinton und George Bush sen. gehören zur Gruppe der Linkshänder. Wenn diese Politiker positive Aussagen unterstreichen wollen, dann gestikulieren sie bevorzugt mit ihrer Linken.
Philosophie? Schon Platon und Aristoteles machten sich Gedanken über den Ursprung der sogenannten Lateralität. Während Platon dachte, dass der Mensch mit zwei gleich geschickten Händen zur Welt komme und sich die Händigkeit erst durch die Erziehung auspräge, war sein Schüler Aristoteles davon überzeugt, dass sie naturgegeben und damit angeboren sei.
Oder sind sie einfach nur Rechtshänder und wollen mehr darüber erfahren? Auch dann kommen sie auf Ihre Kosten, denn wo links ist, da muss es auch rechts geben.
"Starke" Hand bevorzugt
Zitat
Geht man davon aus, dass Menschen je nach ihrer Händigkeit, viele Tätigkeiten mit der jeweils starken Hand ausführen, werden in der Regel zwei Dinge geschehen: Erstens stellt sich die Wahrnehmung darauf ein. Zweitens wird der Betreffende die Erfahrung machen, dass ihm die Tätigkeiten, die er mit der bevorzugten Seite ausführt, leichter von der Hand gehen. Das bleibt nicht ohne Folge für unsere Beurteilung von Dingen.
Schon bei fünfjährigen Kindern ließe sich diese Tendenz beobachten, schreibt Sebastian Jutzi. Sie sortieren das Spielzeug, das ihnen gefällt, auf die Seite ihrer Händigkeit. Negativ besetzte Dinge wandern auf die gegenüberliegende Seite.
Um solche Annahmen zu untermauern, trägt der Wissenschaftsjournalist Sebastian Jutzi zahlreiche wissenschaftliche Ergebnisse und Studien zusammen. Vieles davon ist spannend. Manches, vor allem die Ergebnisse der Hirnforschung zu Links- und Rechtshändern, sind jedoch eher mit Vorsicht zu genießen.
Neuromythen
Die unterschiedliche Strukturierung des Gehirns bei Linkshändern führe zum Beispiel dazu, dass sie Gesichter schneller verarbeiten und erkennen können, als Rechtshänder, meint Jutzi. Diesen Unterschied findet man angeblich auch beim Vergleich der Geschlechter.
Zitat
Frauen erinnern sich besser an Gesichter als Männer - und das entspricht den Erkenntnissen, die man durch die Untersuchung mit bildgebenden Verfahren an Gehirnen gewonnen hat. Ähnlich wie das Hirn von Frauen tendiert auch das Denkorgan von Linkshändern dazu, stärker auf beide Hirnhälften zuzugreifen. Die Lateralisation ist bei beiden Gehirntypen weniger stark ausgeprägt, als bei rechtshändigen Männern.
In Zeiten, in denen viele Erkenntnisse der Hirnforschung als Neuromythologien entlarvt werden, sollte man solche absolutistischen Aussagen vielleicht nur mit der notwendigen kritischen Distanz veröffentlichen.
Erklärung für Außerirdische
Interessant ist dagegen, wenn sich Sebastian Jutzi der Frage widmet, wie man einem Außerirdischen das Konzept von Links und Rechts erklären könnte und dabei auf den Philosophen Immanuel Kant zurückgreift.
Zitat
"Da wir alles, was außer uns ist, durch die Sinne nur insofern kennen, als es in Beziehung auf uns selbst steht, ist es kein Wunder, dass wir Begriffe wie rechts, links, oben, unten, vorn und hinten von dem Verhältnis zu unserem Körper hernehmen."
Der Autor kommt zu dem Schluss, dass unsere Vorstellung von Links und Rechts mit Worten allein schwer zu erklären ist und es in der Regel eine Demonstration bedarf. Um außerirdischen Gästen beispielsweise die Lateralisation des Geruchsinns zu verdeutlichen, könnte man ein Experiment des Max-Planck-Instituts für Ornithologie heranziehen: Die Forscher setzten Tauben etwa 40 Kilometer von ihrem Schlag aus. Einigen Vögeln hatten sie das linke, anderen das rechte Nasenloch mit einem Wachspfropfen verstopft. Tauben ohne verstopfte Nase schlugen direkt den Weg nachhause ein. Diejenigen, die auf das linke Nasenloch verzichten mussten, brauchten ein bisschen länger.
Zitat
Die Tauben, die rechts nicht riechen konnten, waren am meisten verwirrt. Sie flogen verschlungene Routen, rasteten häufiger als ihre anderen Artgenossen und waren dabei auch immer sehr unruhig. Offensichtlich mussten sie sich häufiger über ihren momentanen Aufenthaltsort und die einzuschlagende Richtung klar werden, weil ihnen entscheidende Informationen fehlten. Die Biologen folgern daraus, dass Tauben zur Orientierung bevorzugt mit dem rechten Nasenloch schnüffeln.
Links oder rechts - egal
Ebenfalls lesenswert ist das - wenn auch kurze - Kapitel über "Chiralität", die räumliche Anordnung von Atomen in einem Molekül. Die Links- bzw. Rechtshändigkeit kann die Wirkung eines an sich symmetrischen Moleküls verändern. Als Beispiel nennt Sebastian Jutzi etwa den Aromastoff Limonen. Seine linkshändige Variante duftet nach Zitrone, die rechtshändige nach Orange.
Sebastian Jutzi hat auf 330 Seiten so ziemlich alles zusammengetragen, was es zum Thema Links und Rechts zu sagen gibt. Die reißerische Frage auf dem Buchrücken, ob nun Linkshändern die Zukunft gehöre, bleibt letztlich unbeantwortet. Die gute, wenig überraschende Botschaft lautet, sie sind in keinem Fall davon ausgeschlossen. Zumindest in unseren Breiten. Denn bei den Aborigines oder den namibischen Buschleuten wird Links und Rechts auch zukünftig keine Rolle spielen. Dieses Konzept der Raumaufteilung ist dort nach wie vor unbekannt.
Service
Sebastian Jutzi, "Nur für Linkshänder", Scherz Verlag
Scherz Verlag - Nur für Linkshänder