Lyrik von Ezra Pound
Die Cantos
Weiß ein literarisches Werk mehr als sein Verfasser? Es gibt einige Fälle in der Weltliteratur, die das vermuten lassen. Ezra Pound gehört dazu, dessen Werk zu den herausragenden Leistungen der Moderne gehört, der sich mit seinen Ansichten aber von den Ansprüchen der zivilisierten Welt entfernt hat.
8. April 2017, 21:58
Der Amerikaner war zeitlebens ein unruhiger Geist. Er reiste viel, hielt sich lange in Europa auf, in seinen Studien kam er ohnehin um die ganze Welt. Er beschäftigte sich mit der mittelalterlichen Literatur Frankreichs und ließ sich in Bann ziehen von seinem dichtenden Zeitgenossen Walt Whitman, er übersetzte japanische und chinesische Lyrik ebenso wie lateinische und italienische. Es gab nichts, was nicht Platz gehabt hätte in diesem mäandernden Bewusstsein, das alles aufgriff, um es sich anzueignen und in seinen eigenen gewaltigen Lyrikkosmos einzubinden.
In Italien fand der Sündenfall des Ezra Pound statt, als er sich Mussolini andiente. Dafür und für seinen primitiven Antisemitismus gibt es keine Rechtfertigung. Daneben jedoch arbeitete er an einem Werk, das ebendiesen Ansichten Hohn spricht, indem es die literarischen Traditionen anderer Kulturen aufnimmt und die Summe eines gelehrten Denkens zieht, an einem Werk, dem zeitliche und räumliche Grenzen nichts gelten. Das trägt Züge von einem Gegenprojekt zum Faschismus an sich.
109 Gesänge
Mit Pound kommt ein radikaler Individualist zu Wort, der ohne seine Vorbilder und den Hallraum der Geschichte nichts ist. Der gewaltige Zyklus "Cantos" in 109 Gesängen und etlichen Fragmenten nimmt fünfzig Jahre seiner Arbeitskraft in Anspruch. Kein Wunder, dass die Gedichte nicht über einen Kamm zu scheren sind, zu unterschiedlich sind Ansatz, Methode und Denkhintergrund, als dass man von einem geschlossenen Weltverständnis ausgehen könnte.
Das ist ganz in Ordnung so, mit geschlossenen Weltbildern hatte die Moderne sowieso nichts im Sinn. Aber was sich hier alles auftut, wie Gegensätze und Unvereinbarkeiten zusammenfinden, als wäre das ganz natürlich, ist einzigartig. Dabei ist es tatsächlich etwas ganz Natürliches, dass Gegensätze einen Menschen aufspalten, eine individuelle Einheit bleibt Fiktion. Ezra Pound hat Glück mit seiner Übersetzerin Eva Hesse, die mehr als fünfzig Jahre der Aufgabe gewidmet hat, die "Cantos" ins Deutsche zu bringen.
Verrätselungsattacke
Für Pound stellt die Erfahrung des Ersten Weltkriegs einen Einschnitt dar, der der herkömmlichen Dichtung keinerlei Bedeutung mehr zumaß. Etwas Neues, Unerhörtes musste her. Für Eva Hesse war Pound nach dem Zweiten Weltkrieg das Tor, das sie einen geistigen Raum betreten ließ, der sie herausholte aus dem Mief der Adenauerzeit und den Schrecken des Dritten Reiches. So haben sich zwei gefunden, die allen einfachen Antworten auf die Fragen der Zeit mit einer Verrätselungsattacke der Welt kontern.
Fertig wird man mit diesen Gedichten nie, sie sind ohne Kommentar und Hintergrundinformationen gar nicht zu fassen. Pound zu lesen kostet Energien. Entweder man lässt sich ein auf dieses Werk und macht sich zum Gefangenen auf Lebenszeit oder man fliegt raus und lässt es. Dieses Werk ist obsessiv, hat das Zeug, einen mit Haut und Haaren zu verschlingen. Man liest nicht ein Gedicht und geht weiter zum nächsten, alle haben miteinander zu tun, stehen in unterirdischer Verbindung miteinander. So wechseln sie Individualität, weil sie einem ständigen Angriff, einem ununterbrochenen Dialogangebot der anderen Gedichte ausgesetzt sind.
Widergänger in der Lyrik
Pound breitet ein überdimensionales Weltgemälde vor uns aus. Es macht einen Unterschied, ob er den Wucher in Zeiten des Kapitalismus anprangert oder ob er Odysseus auf den Weg schickt, um das Reich Kirkes zu verlassen. Ist der Autor überhaupt in beiden Fällen noch der gleiche? Alles, was an Erfahrungen abgesickert ist in Erinnerung und das Unbewusste, taucht in der Lyrik als Widergänger auf. Wir finden den Ideologen ebenso wie den Ästheten, der Gefallen findet an der Kunst, die sich selbst genügt. Er stimmt Gesänge an zur Feier des Heldenmuts und er führt wüste Attacken gegen den Kleingeist der Zeit.
Pound ist der Herrenreiter als Denker, der sich fasziniert zeigt von Autoritäten und geordneten Verhältnissen, gleichzeitig aber scheren seine Gedichte aus, erzählen in der Form eine Gegengeschichte zum vordergründigen Kult des den Massemenschen haushoch überragenden Tatmenschen.
Bei Pound, und das unterscheidet ihn von einem für den Faschismus anfälligen Dichter wie Gabriele d'Annunzio, der sich selbst als Flieger in die Heldenrolle manövrierte, bleiben seine Dienst für einen Diktator intellektuell-künstlerische Ware. Mit seiner Literatur ist keine Propaganda zu machen, zu verstiegen, zu abgehoben, zu privat, zu chiffriert mutet sie an, als dass man sie leichtfertig auf eindeutigen Sinn festlegen könnte. Der Ästhet als Politiker gibt eine unglückliche Figur ab. Bevor er einen geraden Satz sagt, windet er sich und vergräbt sich in formale Kühnheiten, die sich direkter Anwendbarkeit verweigern.
"Bei Usura" heißt ein Gesang, der den Wucher zum Thema hat. So fängt er an:
Zitat
Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein
Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht,
dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert,
bei Usura
hat keiner ein Paradies auf seiner Kirchenwand gemalt
harpes et luthes
oder die Kunde, die zur Jungfrau kommt
und Strahlenkranz, der vorkragt bei der Kerbe...
Widerspruch ist zwecklos
Pound schlägt den hohen Ton an, ohne Anspielungen auf Jahrtausende geht bei ihm gar nichts. Er tritt auf als ein Rechthaber, er fordert Hingabe, Versenkung, völliges Aufgehen in seiner Lyrik. Er schmeichelt dem Leser nicht, er fordert Unterwerfung. Seine Stimme ist die letzte Instanz, Widerspruch ist zwecklos. Er hat Geschichte und Gegenwart im Blick und übernimmt die Deutungshoheit.
Mit seinem Anspruch, Totalität zu schaffen, scheitert er. Am Ende kapituliert er. Er hat Dante herausgefordert und sich an Homer gemessen, aber seine Welt ist eine andere. Den Meistern der Vergangenheit, die er hofiert, vermag er etwas vergleichbar Letztgültiges nicht entgegenzusetzen. Es ächzt im Gebälk seiner Gesänge, die sich nach dem Offenen sehnen. Aber ein großartigeres Scheitern ist nicht vorstellbar. Die Lyrik, sich der Einhelligkeit widersetzend, war immer schon klüger als ihr Verfasser.
Service
Ezra Pound, "Die Cantos", übersetzt von Eva Hesse, Arche Verlag
http://www.arche-verlag.com/index.php?id=38&tx_fsvsgbooks_pi1[titel=Die%20Cantos&tx_fsvsgbooks_pi1isbn=3-7160-2654-9&tx_fsvsgbooks_pi1link=detail&cHash=76c945d6c4|Die Cantos]