Pussy Riot: Ein Jahr danach
Vor einem Jahr stürmte eine Gruppe junger Frauen in die Christ-Erlöser-Kirche in Moskau, um dort ein Putin-kritisches Lied zu singen. Der Fall Pussy Riot hat inzwischen weltweit für Schlagzeilen gesorgt. In Russland selbst war der Prozess gegen die jungen Frauen der Anlass für eine deutliche Verschärfung des politischen und gesellschaftlichen Klimas.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 21.2.2013
Start eines "Kreuzzuges"
"Oh Gottesmutter, wirf den Putin raus" - dieses Lied der Band Pussy Riot ist inzwischen weltweit bekannt. Die Bandmitglieder Nadja Tolokonnikova und Maria Aljechina wurden zu je zwei Jahren Straflager verurteilt, Jekaterina Samuzewitschs unbedingte Haftstrafe wurde im Herbst zu einer bedingten Strafe umgewandelt. Der Fall Pussy Riot ist aber mehr als ein Justizskandal, in dem das russische Recht nicht nur gebogen sondern gebrochen wurde - offensichtlich auf Anordnung von oben. Die Führung von Präsident Putin hat Pussy Riot als Anlass genommen, gemeinsam mit der Führung der russisch-orthodoxen Kirche einen Kreuzzug gegen Liberale, Westler und sonstige Andersdenkende zu starten, sagt der Religionswissenschaftler Boris Falikov von der Moskauer Geisteswissenschaftlichen Universität: "Man kann diese Dinge aus religiöser Sicht ablehnen, das ist die eine Sache. Aber wenn diese religiösen Argumente vom Staat verwendet und zu Gesetzen gemacht werden, und wenn der Staat dabei vergisst, dass er eine weltliche Institution ist, die sich um alle Bürger kümmern muss, dann entsteht daraus eine echte Gefahr."
Putin will starke Kirche
Nach der Aktion in der Kirche letzten Februar blieb es einige Zeit ruhig. Dann griffen auf einmal die staatlichen Medien den Fall Pussy Riot auf und verbanden ihn mit der Protestbewegung gegen Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl. Klare Botschaft der staatlichen Propaganda: Wer gegen Putin protestiert, ist gegen die Moral, gegen den Glauben, gegen Russland. Und Patriarch Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, spielte dieses Spiel gerne mit. Im Gegenzug wuchs der Einfluss der Kirche auf die Politik. Die Duma berät gerade ein Gesetz, das die Beleidigung religiöser Gefühle unter Strafe stellen soll, ein Verbot sogenannter Propaganda für Homosexualität ist in Vorbereitung, ein Verbot der Abtreibung wird diskutiert. Und Präsident Putin stellt den Laizismus an den Pranger: Der Aufbau eines neuen Großen Russland sei nur mit einer starken Kirche und dem Bezug auf traditionelle religiöse Werte möglich.
Liberalismus als "Waffe des Westens"
Laut aktuellen Umfragen unterstützt eine Mehrheit der Bevölkerung diesen Kurs. Unerwünschter oder vielleicht auch erwünschter Nebeneffekt: Inzwischen ist es normal, dass ultra-orthodoxe und fundamentalistische Gruppen bei Ausstellungen moderner Kunst oder anderen mutmaßlich unmoralischen Ereignissen auftauchen, sie stören, die Teilnehmer verprügeln - oft mit Duldung der Polizei. Zuletzt gab es sogar öffentliche Proteste gegen etwas so harmloses wie eine Aufführung der Rockoper Jesus Christ Superstar.
"Der ganze Liberalismus, Toleranz gegenüber Schwulen und anderen Minderheiten sind für diese Leute eine Art geheime Waffe des Westens um das Land von innen her zu schwächen. Ich beobachte mit einer gewissen Sorge, dass diese Anti-Westliche Stimmung bei uns einen starken Aufschwung erlebt", sagt Falikov. Die drei jungen Frauen von Pussy Riot haben ihre Urteile inzwischen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angefochten. Mit einer Entscheidung ist nicht vor Ende ihrer Haftstrafe zu rechnen.