Bibelkommentar zu Lukas 9, 28b - 36

In jenen Tagen also scheinen weder Petrus noch seine beiden Begleiter jemandem von diesem sonderbaren Erlebnis erzählt zu haben. Und doch muss etwas durchgesickert sein, wie sonst hätte diese Geschichte Eingang in das Evangelium gefunden?

Die Schilderung von der Verklärung Jesu kommt beim Evangelisten Lukas interessanterweise genau an jener Stelle ins Spiel, wo sehr klar geworden ist, wer dieser Mann aus Nazareth ist und was er will. Er ist einer der Wunder vollbringt und Kranke heilt, einer der in Gleichnissen spricht. Und es ist auch klar, dass es nicht dabei bleibt, sondern dass die Sache Jesu weitergehen wird. Knapp zuvor heißt es, dass Jesus die Zwölf aussendet und alle zur Nachfolge aufruft. Petrus ist sich sicher: Das ist der Messias, derjenige, der von Gott gesandt ist, um die Menschen zu retten.

Jesus geht nicht allein auf den Berg, er nimmt seine engen Vertrauten Petrus, Jakobus und Johannes mit. Im alten Israel dient der Berg den Menschen als Zufluchtsstätte. Das Gebirge bietet viele Verstecke und hält Angreifer auf Distanz. Berge spielen aber vor allem für Israels Religion eine bedeutsame Rolle. Am Sinai übergibt Gott Mose die beiden Gesetzestafeln und schließt mit dem Volk einen Bund. Und auch der Prophet Elija hat ein Bergerlebnis. Er flieht im Kampf auf den Berg Horeb und begegnet dort Gott – nicht im Sturm, nicht im Beben, nicht im Feuer, sondern im Geräusch eines sanften, leisen Wehens, dem eine Stimme folgt.

In dieser Textstelle wird berichtet, dass Jesus am Berg betet. Beten kann heißen, sich ganz für Gott zu öffnen. Das Innerste eines Menschen bekommt seine Berechtigung, erhält einen Platz und findet ein Gegenüber. Dieses innere Geschehen findet auch äußerlich einen Ausdruck. Das Gesicht Jesu verändert sich, sein Gewand wird leuchtend weiß. Für einen Moment ist dieser Mensch wie verwandelt. Das Göttliche bricht herein, die Grenzen sind für einen Augenblick aufgehoben. Er leuchtet und strahlt. Die Jünger schlafen – oder träumen sie das alles nur?

Nicht nur die Grenzen zwischen Tag und Nacht, Wachheit und Schlaf, Haut und Gewand verschwimmen. Auch die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft hebt sich auf. Plötzlich sind die Vorfahren, Mose und Elija, da. Sie blicken nach vorne und sprechen vom Ende Jesu in Jerusalem, wo sich alles erfüllt. Sie, die Gotteszeugen von damals, bezeugen die Anwesenheit Gottes auch jetzt: Gott ist da, in Jesus von Nazareth.

Die Jünger schlafen – so wie sie es schon im Boot taten, als der Sturm kam und so wie sie es auch auf dem Ölberg tun werden, wenn Jesus seinem Tod entgegen blickt. Dass Petrus, als sie erwachen, Hütten bauen will, ist nur verständlich. Er traut seinen Augen nicht und will die Szene festhalten. Selbst wenn ein solcher Schutz aus Zweigen und Laub nicht von Dauer ist: Es wäre gut, diesen offenen Himmel in irgendeiner Form auf die Erde zu bringen.

Ich kann mich an dieser Stelle gut in diesen Petrus hineinversetzen. Transzendenzerfahrungen verlangen bei aller Faszination Bodenhaftung, wenn sie nicht weltflüchtig werden sollen. Dass am Ende dieser mystischen Erzählung eine Wolke aufzieht, mag erneut als geheimnisvolles Zeichen gedeutet werden. Im Ersten oder Alten Testament symbolisiert auch sie die Anwesenheit Gottes. Es heißt auch, dass die Jünger Angst bekamen. Und dennoch: Die Wolke bringt Regen und hält die sengende Hitze fern, auch wenn sie dabei gleichzeitig die Sonne verdeckt und Schatten wirft. In dieser Geschichte bringt sie für mich die Botschaft, dass Gott in allem ist, egal ob die Menschen schlafen oder wachen, hören oder taub sind, sich niederlassen oder weiterziehen. Der Klang der Himmelsstimme aber findet immer einen Weg: verlässlich und unverfügbar zugleich.