Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal

Boca do Inferno

Unterschiedlicher hätten die beiden Personen, die sich am 2. September 1930 in Lissabon trafen, nicht sein können.

Der eine, Fernando Pessoa, war ein zurückgezogen lebender Mensch, der sich am liebsten poetischen Stilexperimenten und Streifzügen in Sternenkonstellationen hingab, der seine Zeit zumeist in dunklen Büroräumen der Lissabonner Altstadt oder in seinem Stammcafe verbrachte und dem alleine die Idee zu vereisen, kalte Schauer über den Rücken jagte. Der andere, Aleister Crowley, galt - wenn man den englischen Presseberichten glauben will - als "der übelste Mensch Englands", als "Monster an Perversität", als "degenerierte Nichtswürdigkeit". Andere sahen in ihm einen gebildeten Gentleman, einen Dichter, Mystiker, Geisterjäger, Alchimisten, Okkultisten und er selbst hielt sich für nichts weniger als den größten Magier aller Zeiten.

Am 2. September legte das Schiff, mit dem Crowley Lissabon bereiste, am Pier an, und pflichtbewusst traf Pessoa dort seine Bekannten. Crowley war nicht alleine gekommen; Hanni Larissa Jaeger hieß seine aktuelle Geliebte. Sie war um 36 Jahre jünger als der Magier und war, wie alle Frauen von Crowley, etwas überspannt. Crowley schien es in Lissabon nicht besonders gefallen zu haben. Denn nach einigen Tagen schon reisten er und Hanni Jaeger an die Küste rund um Estoril. Die beiden wollten sich am Strand erholen und sich - wie bei Crowley üblich - der Sexualmagie hingeben.

Eine Art Brieffreundschaft

Begonnen hat die Bekanntschaft von Pessoa und Crowley am 18. November 1929, als Pessoa einen Brief an Mandrake Press in London schrieb und den ersten Band von Aleister Crowleys "Confessions" bestellte. Der kam prompt, Pessoa bestellte Band zwei und bat die Verleger, sie sollten doch Aleister Crowley mitteilen, dass er sich bei der Berechnung seines Horoskops geirrt habe. Am 11. Dezember 1929 schrieb daraufhin Crowley seinen ersten Brief an Pessoa und es entstand so etwas wie eine Brieffreundschaft.

Wenn man den von Steffen Dix vorbildlich kommentierten Briefwechsel liest, fällt als erstes auf, wie sehr die Beteiligten aneinander vorbeischreiben und nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Pessoa schickt einige seiner Gedichte an den englischen Verlag und fragt, ob man diese nicht veröffentlichen wolle. Der Verlag zeigt sich interessiert, aber nur, wenn Pessoa Anteile am Verlag zeichnet. Denn was Pessoa nicht wusste: Mandrake Press stand von Anfang an unter großem finanziellen Druck und musste 1930 bereits Zahlungsunfähigkeit anmelden.

Crowley ermutigte Pessoa, ihn doch in England zu besuchen; der notorisch reisescheue Schriftsteller erfand daraufhin immer neue Ausreden, warum das im Moment leider gar nicht möglich wäre. Und was waren Crowleys Intentionen? Das lässt sich nicht genau sagen. Möglich wäre, dass er einen Ableger seines Geheimordens in Portugal gründen und Pessoa als Statthalter einsetzen wollte.

Inszenierter Selbstmord

Sowohl der Briefwechsel als auch das Treffen der beiden hat den Charakter einer Posse. Diese Posse erreichte ihren Höhepunkt am 21. September 1930. Um seiner Geliebten, die kurz zuvor aufgrund der ausschweifenden sexual magischen Rituale einen hysterischen Anfall erlitten hatte, der das ganze Hotel zusammenlaufen ließ - um eben jener Hanni Jaeger einen Schrecken einzujagen, beschloss Crowley, seinen Selbstmord zu inszenieren. Vermutlich sprach er die Details mit Pessoa ab - wo er sich effektvoll umbringen könnte, wer den Abschiedsbrief finden sollte, etc. etc. Als Ort wurde der in der Nähe von Cascais gelegene Höllenschlund gewählt. Boca do inferno heißt dieser bei Selbstmördern beliebte Ort, wo das Meer seine Wellen mit tosendem Gebraus in einen 20 Meter hohen Felsenkessel schlägt.

Ganz zufällig schlenderte am Nachmittag des 25. September der Journalist und Pessoa-Freund Augusto Ferreira Gomes am Strand von Cascais entlang und entdeckte in der Nähe des Höllenschlunds ein Zigarettenetui und Crowleys Abschiedsbrief.

L.G.P. ist der mystischer Name, den Crowley Hanni Jaeger gegeben hatte. "Hjsos" heißt wohl "Hanni Jaeger Save Our Souls" und die Unterschrift Tu Li Yu weist wohl weniger auf den 3321 vor Christus geborenen chinesischen Weisen hin, als dessen Inkarnation sich Crowley verstand, als vielmehr auf die englische Abschiedsformel: Tooley-oo", was nichts anders als "Tschüss" oder "Bis bald" bedeutet.

Falsche Spuren gelegt

In Portugal war der vermeintliche Selbstmord von Crowley eine große Geschichte. Die Zeitungen berichteten darüber, Pessoa gab Interviews, in denen er immer neue falsche Spuren legte. Dass Crowley am 23. September Lissabon verlassen und nachweislich am selben Tag um 19 Uhr die portugiesische Grenze überquert hatte, wurde nicht weiter beachtet. Ebensowenig die Tatsache, dass Crowley zur selben Zeit, als in Portugal über seinen Selbstmord gegrübelt wurde, in Berlin lebte und eine Ausstellung seiner Bilder vorbereitete.

Im Jahre 1931 schrieben sich Crowley und Pessoa noch ein paar wenige Briefe, am 20. März 1931 brach der Kontakt endgültig ab. Und damit endete diese seltsame Posse, die Steffen Dix wie folgt zusammenfasst:

Service

Fernando Pessoa, "Boca do Inferno. Aleister Crowleys Verschwinden in Portugal", aus dem Portugiesischen übersetzt von Steffen Dix, S. Fischer Verlag

S. Fischer - Boca do Inferno