Filesharing als Kulturpflege

Es war an einer dunklen Ecke des Internet, zwischen Bombenbastelanleitungen und übelster Pornografie. Dort fand sich ein Schild: Filesharing. Wer durch diese Tür trat, entfernte sich aus dem Kreis der Gutgesinnten und wurde zum halsabschneiderischen Piraten.

So oder ähnlich sollten wir uns wohl die Sache mit dem Filesharing vorstellen, wenn es nach dem Willen der Copyright-Lobby ginge. Dabei könnte gerade diese Technologie die Kulturwelt revolutionieren.

Ins Rollen gebracht wurde die Filesharing-Welle vom 1999 gegründeten Online-Dienst Napster. Dieser ermöglichte es Nutzern über ein einfaches Interface, digitalisierte Musikstücke im MP3-Format miteinander auszutauschen. Die Technologie dahinter nannte sich Peer-to-Peer, kurz P2P. Das System setzte auf einer elementaren Eigenschaft des Internet auf, seiner Dezentralität.

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(c) k1ante, suprbay.org

Ursprünglich, also vor der Kommerzialisierungswelle des Internet, war jeder Knoten im Netz, technisch gesprochen, gleichberechtigt, ein "Peer". Daten wurden zwischen Peers ausgetauscht, ohne zwischen diesen zu diskriminieren. Wenn ein Knoten ausfällt, etwa wegen technischer Störungen oder Zensur, wird eben der nächste Knoten nebenan benutzt. Im Prinzip funktioniert das Internet heute noch genauso, nur dass diese Ebene von anderen Schichten überlagert wurde.

Napster selbst bot gar keine Inhalte an, das machten seine User. Millionen nutzten den Dienst, um seltene Aufnahmen zu bekommen, Underground-Raritäten, nicht mehr erhältliche Platten oder auch sogenannte Bootlegs, von Fans gemachte Mitschnitte von Konzerten. Dazwischen fanden sich aber auch aktuelle Produkte der Plattenindustrie, und diese reagierte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln: Armeen von Anwälten, Klagefluten, Lobbying im US-Kongress.

Es dauerte keine zwei Jahre, bis Napster in seiner ursprünglichen Form verschwunden war. Doch an seiner Stelle entstanden andere Technologien wie Gnutella, die den P2P-Gedanken noch effizienter umsetzten. Bei Gnutella gab es keinen zentralen Server mehr, der den Behörden als Zielscheibe dienen konnten. Da blieb nur mehr eines, Überwachung der Datenströme und Repression gegen individuelle User.

Dennoch existierte Filesharing munter weiter. In einer Art Rüstungswettlauf zwischen den "Datenlords" der Content-Industrien, ihren Anwälten, Lobbyisten, den von ihnen vereinnahmten Journalisten und Medienkonzernen auf der einen Seite, und findigen Technologie-Pionieren und Anwendern auf der anderen. So gab es immer wieder neue Technologien und Plattformen, wie z.B. Bittorrent und die Piratebay, und mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, diese aus dem Netz zu klagen.

Inzwischen sind die Bandbreiten für Internetnutzung von zu Hause besser geworden, so dass auch das Filesharing von ganzen Filmen möglich geworden ist. Es haben sich spezialisierte Filmklubs gebildet, zu denen man nur per Einladung Zutritt erhält. Und dort zeigt sich, was Open Innovation mit Filesharing zu tun hat: es ist eine von Usern für User gemachte Dienstleistung.

Filmfans digitalisieren Filme füreinander und ermöglichen es, dass andere diese von ihren eigenen Festplatten laden können. Es werden also keine Filmdateien hochgeladen, sondern nur Informationen darüber, welcher User die Inhalte auf seiner eigenen Festplatte bereitstellt. Das ist aber noch lange nicht alles, denn die User schreiben auch selbst Filmkritiken und tauschen sich in Foren über ihre Lieblingsfilme aus. Manche gehen sogar so weit, Dialoge zu übersetzen und selbst Untertitel anzufertigen.

Auf diese Art werden zwar möglicherweise auch Hollywoodfilme getauscht, und der eine oder andere europäische Kunstfilm mag auch darunter sein, aber daneben gibt es iranischen, japanischen, chinesischen Autorenfilm, Genrefilme, Dokumentationen und vieles, das selbst in einer gut bestückten Kunstvideothek kaum zu finden ist.

Mit anderen Worten, auf solchen Filmfanplattformen wird das filmische und audiovisuelle Weltkulturerbe gepflegt. Die Plattformen, die übrigens meist nichtkommerziell sind, beruhen auf der Liebe der Fans zum Film. Die Fans handeln dabei nicht als altruistische Wohltäter, sondern wissen, wenn ich diesen extrem seltenen Film mit anderen teile, werden andere mir Filme zugänglich machen, an denen ich ein besonderes Interesse habe.

In den 1990er-Jahren sprach man viel von Business-to-Business-Diensten. Filesharing hingegen ist ein Dienst, der von Nutzern-für-Nutzer bereitgestellt wird. Die Aufteilung der Welt in Anbieter auf der einen Seite und reine "Nutzer" oder Konsumenten auf der anderen Seite ist ein Relikt des Industriezeitalters. Wir können uns noch kaum vorstellen, was alles möglich wäre, wenn man dieses Modell der Kollaboration zwischen Nutzern mehr in den Vordergrund rücken, und auch die Technologien entsprechend weiter entwickeln würde.

Doch im Fall des Filesharing erweist sich das Copyright als Innovationsbremse. Die Interessen einer sehr kleinen Gruppe verhindern, dass sich innovative Dienste nach dem Peer-to-Peer-Prinzip entwickeln können. Den Copyright-Lobbies gelang es, Filesharing zum Schmuddelkind des Internet zu stempeln.

Was als Piraterie oder Diebstahl dämonisiert wird, könnte genauso gut als Bewahrung von Kulturgut gesehen werden. Und dazu eignet sich die P2P-Kultur, die auf dem Solidaritätsprinzip beruht, bestens. Vieles von dem, was angeblich "gestohlen" wird, ist in Wirklichkeit kaum noch erhältlich. Durch Filesharing werden, man denke etwa an den künstlerischen Dokumentarfilm, Kulturgüter zugänglich gemacht, die sonst kaum je irgendwo zu sehen sind. Das Copyright wirkt hier schlimmer als jede Zensurschere.

Text: Armin Medosch, Autor und Medienwissenschafter

Service

Medosch, Armin, Janko Röttgers, "Netzpiraten : die Kultur des elektronischen Verbrechens", Hannover: dpunkt Verlag.