Friss oder stirb

Clemens G. Arvays neues Buch "Friss oder stirbt" erscheint gerade rechtzeitig, um Licht in die obskuren Machenschaften und Produktionsweisen der Bio-Industrie zu bringen.

Etikettenschwindel mit "Bio"

"Ja, natürlich" wollen wir Konsumenten "Natur pur", wenn es um unsere Lebensmittel geht. Wir wollen "zurück zum Ursprung", wollen glückliche Hühner auf saftigen Wiesen, ungespritztes Obst und Gemüse und kernige Bauern, die selbst Hand anlegen.

Im Supermarkt oder beim Discounter werden diese Wünsche wohl nicht in Erfüllung gehen. So der Befund des Agrarbiologen Clemens G. Arvay, der sich nach "Der große Bio-Schmäh" ein weiteres Mal aufmacht, den Etikettenschwindel der europäischen Bio-Lebensmittelindustrie aufzudecken. In "Friss oder stirb" dokumentiert der Autor seine Recherche-Reise durch ganz Europa, die ihn zu vermeintlich biologischen Tierfabriken, Massenproduktionsstätten, endlosen Monokulturen und großflächiger, industrialisierter Landwirtschaft geführt hat.

Auch positive Beispiele nachhaltiger, ökologischer Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kommen in der 220 Seiten langen Reportage nicht zu kurz. In den heimischen Supermärkten finden sich diese Produkte jedoch nicht, auch nicht in den "Bio-Produktpalletten" der Lebensmittelriesen.

Wischi-waschi-Richtlinien

Die EU-Richtlinien für biologische Landwirtschaft erlauben für die Eierproduktion 3.000 "Legehennen pro Stalleinheit". Das entspricht 6 Hühnern pro Quadratmeter. Da aber die Metallgestänge in den oberen Etagen und Kotfließbänder zur Grundfläche gezählt werden, drängen sich weitaus mehr Hühner in den Produktionshallen. Den Freiland-Auslauf nehmen die gestressten Tiere erst gar nicht in Anspruch, denn der Großteil von ihnen hat immer in Ställen gelebt.

Dass solche Eier dennoch ein Bio-Siegel tragen, liegt unter anderem an der oft engen Beziehung zwischen Zertifizieren, Großproduzenten und Supermärkten. So ist etwa Werner Lampert, Gründer der Biomarke "Zurück zum Ursprung" der Diskontkette Hofer gleichzeitig verantwortlich für das Gütesiegel "Prüf nach!", das exklusiv an Produkte dieser Marke vergeben wird. Bei weitem kein Einzelfall in Europa.

Als weiteres Problem der Bio-Lebensmittelproduktion identifiziert Clemens G. Arvay die ästhetischen Ansprüche und optischen Normen des Lebensmittelhandels. Gurken sollen möglichst gerade, Karotten nicht zu schmal, zu breit oder zu kurz und Erdäpfel nicht herzförmig oder anderweitig unerwünscht verformt sein. Den kosmetischen Qualitätsvorgaben des Großhandels und der Supermärkte genügt solches Gemüse nicht. Es wird nicht verkauft, sondern vernichtet.

Vorschläge für bessere Ernährung

Etwa bei der Hälfte des Buches wendet sich der Autor dann der Botschaft des Untertitels zu: "Wie wir den Machthunger der Lebensmittelkonzerne brechen und uns besser ernähren können". Arays Plädoyer für artgerechte Tierhaltung, für den Einsatz alter Gemüse- und Obstsorten und für eine kleinstrukturierte Landwirtschaft richtet sich weniger an die Produzenten von Bio-Lebensmitteln, sondern vielmehr an die Konsumenten. Das Ziel muss sein, regionale Kreisläufe in der Landwirtschaft zu fördern und zwar über die Kaufentscheidungen des Einzelnen. Die Schlagwörter lauten für den Autor in diesem Zusammenhang "Ernährungssouveränität" und "Lebensmitteldemokratie".

Die Maßnahmen, die Menschen setzen können, um ihre Souveränität als Konsumenten zu stärken, sind altbekannt: Lebensmittel auf regionalen Bauernmärkten oder in lokalen Bioläden einzukaufen, sogenannte "Bio-Kisten" zu bestellen, sich möglichst auf saisonale Produkte zu beschränken, im eigenen Garten Obst und Gemüse anzupflanzen oder Selbsternteparzellen und Gemeinschaftsgärten zu nutzen.

Solidarische Landwirtschaft

Als "Königsdisziplin" der Ernährungssouveränität und Konsumentendemokratie bezeichnet Clemens G. Aray die "solidarische Landwirtschaft". Hier sind die Konsumenten finanziell an der Landwirtschaft beteiligt, manche helfen auch im Stall oder bei der Ernte mit. Belohnt werden sie mit einem Anteil des Ertrages.

Manchmal muten die Schilderungen und Einsichten des Autors in "Friss oder stirb" ein wenig esoterisch an. Doch der Schwerpunkt liegt klar auf Expertengesprächen, sachlicher Recherchearbeit und agrarwissenschaftlichen Fakten.

Das Buch schließt mit einem Kommentar von Roland Düringer, der sich gerade in einem nachhaltigen Selbstversuch übt: Er verzichtet auf allerlei unökologische Annehmlichkeiten - wie Auto, Internet oder das Einkaufen im Supermarkt. Auch er richtet sich direkt an die Konsumenten, denn alles, was wir nicht nachfragen, wird eines Tages aus den Regalen der Supermärkte verschwunden sein und nicht mehr produziert werden.

Service

Clemens G. Arvay, "Friss oder stirb. Wie wir den Machthunger der Lebensmittelkonzerne brechen und uns besser ernähren können", ecowin

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Clemens G. Arvay