Bibelkommentar zu Lukas 15, 1 - 3. 11 - 32

Lost & Found: Wer kennt sie nicht, diese Anlaufstelle auf den diversen Airports? Endlich Urlaub. Doch jetzt nach der Landung, da taucht er nicht auf, der eigene Koffer mit allem, was für zwei Wochen nötig gewesen wäre.

Ende, Band steht. Also, ab zum Lost & Found-Schalter, diesem dünnen Faden Hoffnung in den Turbulenzen des modernen Fernwehs...

Lost & Found, „verloren und wieder gefunden“: ein großes Thema auch in dem Gleichnis, das der Tradition nach der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, wohl so um das Jahr 80. Lost – so murren die Pharisäer und Schriftgelehrten – „verloren“ schon die Adressaten: „alle Zöllner und Sünder“, schreibt Lukas pointiert, „alle suchen seine Nähe“. Weil er sie akzeptiert, sich mit ihnen an einen Tisch setzt. Und daher erzählt Jesus nicht bloß eine „Lost & Found“-Story, sondern gleich drei! Hundert Schafe: eines verloren und wieder gefunden; zehn Drachmen: eine verloren und wieder gefunden; schließlich zwei Söhne – und nur dieses dritte Gleichnis bildet den eben gehörten Evangelientext – zwei Söhne: einer verloren und wieder gefunden.

Zwei Söhne. Ihre Prototypen tauchen schon auf den ersten Seiten der Bibel auf, als Kain und Abel. Symbolstark die Bedeutung der beiden Namen im Hebräischen: Kajín heißt „Schmied“, „Hämmerer“. Und Hébel meint „Luft“, „Windhauch“. Damit ist bereits klar, welcher Sohn verloren gehen wird im archaisch-brutalen Zwist. „Was hast du getan?“ Adonais - also Gottes - Frage bohrt in Kains Gewissen. „Dam, das Blut deines Bruders schreit zu mir von der adamáh, der Ackererde“ (Gen 4,10). „Zu groß ist meine Schuld“, hört sich Kain antworten, „als dass ich sie tragen könnte. Rastlos und ruhelos werde ich sein auf der Erde“ (Gen 4,13f). Paradise lost, east of Eden...

...jenseits von Eden, verloren das Paradies: Elemente wie diese aus dem Buch Genesis greift Lukas recht geschickt auf. Er schildert die missliche Lage des jüngeren Sohnes in einem Dreischritt: „Als er in der Fremde alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land, und es ging ihm sehr schlecht“ (V. 14). Das Erbe vertan, nicht nur etwas, sondern alles, wirklich alles verloren, ein Stück wohl auch sich selbst. Ein absoluter Loser also?! Vielleicht, aber nicht bei Lukas! Denn jetzt, am Tiefpunkt seines sozialen Abstiegs, kommt der junge Mann zu sich, „geht er in sich“. Und nach der Metánoia, dem Einsehen und Umdenken, spricht er sich los von seiner Verlorenheit: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein“ (V.18f).

Und der Vater? Kein Sprücheklopfer à la „Wer nicht hören will, muss fühlen“. Keine kleinliche Revanche für verletzten Stolz. Keine eisige Canossa-Kälte. Statt dessen: Immer bist du mein Sohn, du wohnst in meinem Herzen. Niemals kannst du für mich sterben. In mir Gottes Liebe – sie kommt dir und allen entgegen, ist grenzenlos...
“Und sie begannen zu feiern“ (V.24): mit dem fröhlichen Fest könnte Lukas eigentlich schließen. Doch er lässt die Parabel, die sich weder bei Markus noch bei Matthäus, sondern nur in seinem Evangelium findet, er lässt seine Parabel zu einem zweiten Gipfel auflaufen. Gekonnt führt er den älteren Sohn ein: er arbeitet „en agró, auf dem Ackerfeld“. Lukas ist ein exzellenter Kenner der Septuaginta, der griechischen Fassung des Ersten Testaments. Dort, auch im Buch Genesis, wird schon ein anderer älterer Sohn als „ágroikos, Mann des Feldes“ (Gen 25,27) charakterisiert, nämlich Esau. Er und sein Zwilling Jakob sind die zwei Söhne von Isaak und Rebekka. - Und „muss“ auch Abraham zwei Söhne haben? Ja, Ismael, den älteren von Hagar, einer „Fremden“, und Isaak, den jüngeren von Sara, spät, aber doch...

Diese universalen „Zwei-Söhne“-Erzählungen sind gegen alles „Verlorensein im Exil von Babylon“ komponiert und mit rosa Kinder-Segen prall gefüllt. Lukas schreibt eine reine Männer-Geschichte, die Mutter der zwei Söhne oder ihre Schwestern bleiben ungenannt. Er erwähnt keine Namen, keine Orte, er braucht auch keine Zeitangaben. Seine Parabel vom Ver-Söhnen ist offen und weit. Sie fasziniert einen Meister wie Rembrandt so sehr, dass er daraus eines seiner tiefgründigen Altersgemälde schafft. Sie drängt einen Nobelpreisträger wie André Gide, darüber ein wichtiges literarisches Werk zu verfassen. Sie regt Kees de Kort an, dazu ein eigenes kleines Bilderbuch zu gestalten, in seiner Reihe ‚Was uns die Bibel erzählt’.

Und du selber, erinnerte sich vor kurzem eine ehemalige Studentin, hast du nicht auch zwei Söhne? Ja, sagte ich, haben wir. Und, fragte sie weiter, du hast ihnen ja hoffentlich erklärt, dass Jesus sein Bild von Gott als barmherzigem Vater auf jeden Fall dem Josef verdankt? Natürlich nicht dir, lachte sie, sondern dem aus Nazaret...