Die Kunst der Stunde

Die "Café Sonntag"-Glosse von Severin Groebner

Die Kunst der Stunde bedarf zunächst mal einer klaren Begriffsklärung.

Erstens Stunde. Scheinbar eindeutig. Ein festgelegter Zeitrahmen. Ein 24tel einer Erdumdrehung, und somit ein Achttausendsiebenhundertsechzigstel einer Sonnenumrundung auf der Bahn des Planeten Erde, folglich etwa der 225.132.000 Teil eines platonischen Jahres. Aber das weiß ja jedes Volkschulkind (vorausgesetzt die Eltern sind Astrophysiker).

Diese Stunde also eingeteilt in 60 hübsche Minütchen, die sich wiederum aus 60 schnuckeligen Sekunderln zusammensetzen und wenn ich diese Stunde noch in Relation zu der Umlaufbahn des Merkur und der Ekliptik der Venus, sowie zur Lebenszeit eines amerikanischen Mammutbaums ausdrücke und das volle 60 Minuten lang, dann werden Sie , werte Hörerinnen und Hörer, eine Ahnung bekommen, wie lang so eine Stunde werden kann.

Im Gegensatz zu einer Stunde Schlaf nach einem auslaugenden Nachtdienst etwa, oder einer Stunde im Kino angesichts eines Film, der Ihnen gefällt, oder einer Stunde Beischlaf mit einer Person, die Ihnen auch gefällt. Wie lange sich allerdings eine Stunde Beischlaf anfühlt mit einer Person, die Ihnen nicht gefällt, überlass ich Ihrer Fantasie. Egal.

Eine Stunde kann sich auch exorbitant in Wahlkampfzeiten dehnen, wenn die Damen und Herren aus der Politik sich ans Stimmvieh... äh... Wahlvolk wenden und rhetorische Bürgernähe üben, ja, dann kann sich schon so manche Stunde wie eine Polarnacht anfühlen. Die Kunst dagegen ist es natürlich, eine Stunde so auszufüllen, dass sie allen anderen wie 15 Minuten vorkommt.

Was aber ist Kunst? Herrgottsakra! Jetzt sind wir natürlich sofort durch die Definitionsfalltüre in das achtzehnte Untergeschoß des Irrgartens der Kunsttheorie gelandet, aus dem uns erst wieder ein sehr gut vernetzter Diskurs-Papst mit randloser Brille, Designer-Shirt, das durch extreme Unauffälligkeit besticht, und brandneuer, eigener Publikation unter dem Arm befreien wird.

Er hat einen Sprachfehler, humpelt gebeugt von der eigenen Bedeutsamkeit und lacht kurz und heiser auf, wenn man ihn fragt, was Kunst ist. Oder auch nur wie man hier raus kommt. Da lacht er besonders und sagt: "Aus der Frage nach der Kunstdefinition gibt es kein Entkommen, glaube mir, niemals, hahahaha!" Und sein höhnisches Gelächter hallt durch die unterirdischen Gewölbe. Verdammt sind wir oder auch nicht und wir halt uns an Karl Valentin, der zu Kunst nur gemeint hat: "Wenn man‘s kann, ist es keine Kunst, und wenn man‘s nicht kann, erst recht nicht." (Was zwar genau genommen keine Kunst-Definition ist, sondern eine Keine-Kunst-Definition ist, aber dafür ist das kurz und man merkt es sich gut. Und lustig ist auch. Also 3:0 für Valentin gegen den Diskurs-Papst.)

Wie aber nun die Kunst mit der Stunde und die Stunde mit der Kunst verbinden? Sie zu einem harmonischen Ganzen formen? In Einklang, Harmonie und vollendeter Eleganz übers Parkett schicken... was red ich da? Das klingt ja schon fast nach Dancing Stars.