NS-Vergangenheit: Philharmoniker beugen sich Druck

Die Wiener Philharmoniker bemühen sich um mehr Transparenz im Hinblick auf ihre Nazivergangenheit. Nach langem Zögern des Vorstandes Clemens Hellsberg wird man spätestens am Dienstag auf der Webseite der Philharmoniker ein völlig neu gestaltetes Kapitel zu diesem Thema finden. Denn auf öffentlichen Druck wurde im Jänner eine Gruppe von Historikern beauftragt, neue Materialfunde aufzuarbeiten.

Mittagsjournal, 9.3.2013

Bis zum heutigen Tag steht auf der Homepage der Wiener Philharmoniker im Kapitel "Geschichte": "1938 griff auf brutalste Weise die Politik ins philharmonische Geschehen ein. Die Nationalsozialisten entließen fristlos alle jüdischen Künstler aus dem Dienst der Staatsoper". Sätze wie diese sind zwar nicht falsch. Verschwiegen wird aber die Mitverantwortung in den eigenen Reihen. Kein Wort zum Beispiel davon, dass vor 1938 weit über 30 Prozent der Musiker illegale Nationalsozialisten waren - im Schnitt der Bevölkerung waren es unter zehn Prozent.

Aber ab Dienstag soll endgültig Schluss sein mit der Verharmlosung, verspricht der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, der mit Fritz Trümpi und Bernadette Mayerhofer einen völlig neuen Webauftritt zu diesem Thema erarbeitet hat: "Jetzt kommt meiner Meinung nach ein Quantensprung. Und ich kenne eigentlich kein Orchester im deutschsprachigen Bereich, das eine ebenso tiefe Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der eigenen Geschichte und auf der eigenen Homepage thematisiert."

Es wird etwa auch Porträts der vertriebenen und ermordeten Orchestermitglieder geben. Aufgrund neu gefundener Aktenbestände lässt sich auch wesentlich besser erklären, warum die Philharmoniker schon frühzeitig eine Nazi-Hochburg waren: "Diese hohe Illegalität hängt mit einer sehr erfolgreichen Arbeit in einer nationalsozialistischen Betriebsorganisationszelle in der Staatsoper zusammen. Was haben die konkret gemacht? Illegale Propaganda, entsprechendes Zeitungsmaterial, auch Geldspenden, eine richtige politische Zelle in der Staatsoper."

Zur Zeit des sogenannten "Anschlusses" waren die schwarzen Listen im Orchester schon vorbereitet. Allerdings bemühte sich Orchestervorstand Wilhelm Jerger, ein SS-Mann, mehr als bisher bekannt um die Rettung entlassener jüdischer Musiker vor der Deportation. Das gelang ihm nicht in allen Fällen; und zwar weil Gauleiter Baldur von Schirach abblockte. Schirach wurde 1942 der Ehrenring der Wiener Philharmoniker verliehen; und nochmals - inoffoziell - 1966, nach seiner Entlassung aus der Haft im Kriegsverbrechergefängnis Berlin Spandau. Ein Philharmoniker hat den Ring damals überbracht. Und man weiß inzwischen, wer das war. Das Geheimnis soll am Sonntag Abend, bei der Präsentation der Ergebnisse in der Wiener Staatsoper, offiziell gelüftet werden. Es wird, soviel sei verraten, ein Knalleffekt.

Was aber wurde eigentlich aus wertvollen Instrumenten der Vertriebenen und Ermordeten? Orchestervorstand Clemens Hellsberg: "Instrumente, die dem Verein Wiener Philharmoniker gehören, die haben wir mittlerweile durchgeschaut, und es gibt ein, zwei Sachen, die wir wissenschaftlich anschauen lassen, alle anderen sind zweifelsfrei."

Geht die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit bei den Philharmonikern jetzt so vollständig vor sich, wie behauptet wird? Sind - so der Verdacht - auch Unterlagen beiseite geschafft worden? Jedenfalls zeigt sich Clemens Hellsberg weit mehr als früher um Transparenz bemüht: "Das Archiv steht offen ! Es sind alle eingeladen. Wer sich betätigen will - bitte sehr gerne".

Textfassung: Joseph Schimmer