Edmund de Waal: Vortrag in Wien

Anlässlich des 75. Jahrestags des "Anschlusses" hält Edmund de Waal auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer einen Vortrag im Wiener Palais Epstein.

Unter dem Titel "Bringing Memory Home" wird er über die bis heute ungebrochene Pflicht der Vergangenheitsbewältigung sprechen und darüber, dass das Erzählen persönlicher Erlebnisse und Geschichten von Betroffenen auch eine würdige Form der Restitution darstellen kann.

Der britische Keramikkünstler und Autor Edmund de Waal landete vor zwei Jahren mit seiner Familiengeschichte "Der Hase mit den Bernsteinaugen" auch hierzulande einen Bestseller.

Er erzählt darin die Geschichte seiner Vorfahren, der jüdischen Bankiersfamilie Ephrussi, die bis 1938 das Palais Ephrussi an der Wiener Ringstraße bewohnte. Nur wenige Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland wurden sie im Prozess der sogenannten Arisierung ihrer gesamten Besitztümer beraubt und vertrieben.

Stadt der verlorenen Geschichten

Wien sei eine Stadt der verlorenen Geschichten, sagt Edmund de Waal. In jeder Straße sei zumindest eine verschwundene Familie zu beklagen oder eine verlorene Generation, die aufgrund der Ereignisse nicht hier aufgewachsen ist. Bei der Diskussion um die Restitution jüdischer Besitztümer gehe es aber fast ausschließlich um materielle Güter und monetäre Abgeltungen. Damit werde ein wichtiger Aspekt der Aufarbeitung völlig außer Acht gelassen, meint de Waal.

Die Nationalsozialisten hätten eben nicht nur die Häuser und Wohnungen, Bibliotheken und Kunstwerke jüdischer Familien geraubt, sagt Edmund de Waal: "Sie haben auch die Geschichten dieser Familien gestohlen, ihre Realität, ihre Wohnorte, die Orte, wo sie ihre Kinder großzogen, wo sie sich verliebten und wo sie erwachsen wurden. Restitution ist also nicht nur die Rückgabe gestohlener Dinge, sondern besteht auch darin, die Geschichten dieser Menschen in ihre Stadt zurückzubringen, denn es ist auch ihre Stadt."

Das große Schweigen

Der Versuch, die zahlreichen Geschichten emigrierter und ermordeter jüdischer Menschen nach Wien zurückzubringen, wird nach wie vor durch beharrliches Schweigen verhindert. Das musste Edward de Waal auch bei der aufwändigen Recherche für sein Buch feststellen. Dabei geht es nicht nur um institutionelles, politisches Schweigen, sondern auch um das Schweigen der Betroffenen.

"Ein sehr verbreitetes Phänomen unter Flüchtlingen und Emigranten ist der Unwille, darüber zu sprechen, was passiert ist. Weil es sicherer für die Kinder ist, damit sie in einem neuen Land neu anfangen können ohne die emotionale Last der Vergangenheit. Auch mein eigener Vater hat nie darüber gesprochen, weil es einfach so schrecklich war. Diese Art des schützenden Schweigens habe ich auch in anderen Familien immer wieder erlebt."

Im Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" schildert de Waal unter anderem auch die Enteignung seiner Familie nur wenige Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland im März 1938. "Meine Aufgabe war es, meine eigenen Emotionen zurück zu halten. Ich habe also erzählt, am 13. März 1938 hat es geschneit, als um 7 Uhr 30 in der Früh... Auf diese Art kann man viel besser nachempfinden, was da passierte, als wenn ein 48-jähriger englischer Schriftsteller sein persönliches Entsetzen über die Ereignisse beschreibt. Diese Stelle habe ich mit viel Bedacht geschrieben und es war wohl der härteste Teil des gesamten Buches für mich", erzählt er.

Individuelles Engagement und institutioneller Unwille

Im Rahmen seiner Recherchereisen nach Wien traf de Waal viele engagierte Menschen, die sich für die Aufarbeitung jüdischer Schicksale einsetzten. Zugleich begegnete er auch einer institutionellen Starre und einem starken politischen Unwillen, die österreichische Nazivergangenheit aufzuarbeiten.

"Es gibt viele mutige Menschen, die versuchen, den Prozess voranzutreiben", so de Waal, "und es gibt immer noch Institutionen, die so sehr um ihren Ruf bangen, dass sie sich weigern, Dinge zu veröffentlichen oder zugänglich zu machen. Im Moment scheint sich das aber unglaublich zu verändern, gerade diese Woche ist viel passiert. Es scheint sich also, so hoffe und bete ich, endlich etwas zu verändern."

Gestern Abend hat Edmund de Waal die Geschichte seiner Großmutter, Elisabeth de Waal, in London publiziert. Der Roman wird im Frühjahr 2014 auch in deutscher Sprache erscheinen. Sie habe die ganzen 1950er Jahre hindurch versucht, ihre Familie und Besitztümer aufzuspüren. Dass er sich nun, 60 Jahre später, noch immer dieselben Aufgaben und Fragen stellt, stimme ihn traurig und wütend. Aber, so ist Edmund de Waal überzeugt: Es ist nie zu spät, die Vergangenheit aufzuarbeiten und gestohlene Erinnerungsstücke zurückzugeben. Diese Art der Rückgabe sei weit mehr wert als jegliche Art der finanziellen Abgeltung.