Die neuen "Gastarbeiter"

Österreich hat im Wirtschaftsboom der 60er- und 70er Jahren "Gastarbeiter" angeworben. Doch die meisten von ihnen blieben keine Gäste, sondern sind heute in Österreich zu Hause. Der Begriff Gastarbeiter hat sich also als missverständlich erwiesen. Wer sind heute die ausländischen Arbeitskräfte, die nach Österreich kommen? Und gibt es so etwas wie den "modernen Gastarbeiter"?

Morgenjournal, 22.3.2013

Aussterbender Begriff

In einem Pflegeheim der Caritas in Wien sind neun von zehn Pflegerinnen Ausländerinnen, unter anderem aus der Slowakei, also EU-Bürger, wie ein sehr großer Teil der ausländischen Arbeitskräfte. Darunter fallen auch deutsche Kellner in den Tiroler Skihütten. Rumänische Erntehelfer kommen auf den Arbeitsmarkt, ebenso wie Flüchtlinge. Hoch qualifizierte Fachkräfte von außerhalb der EU versucht Österreich mit der Rot-Weiss-Rot-Card anzuwerben. Einen neuen Begriff für sie alle gibt es nicht, sagt Martin Schenk, Integrationsexperte der Diakonie: "Der Begriff Gastarbeiter wird in Österreich aussterben. Das ist auch gut, denn jetzt geht es um Arbeitsmigration, gesteuerte Zuwanderung und Integrationsmaßnahmen."

Bürger statt Gast

Die wichtigste Lehre aus der Gastarbeiterzeit: Man dürfe nicht davon ausgehen dass die Menschen wieder gehen: "Um attraktiv zu sein für Leute, die in Österreich arbeiten wollen und auch der österreichischen Volkswirtschaft etwas bringen, muss man sich auch als Zuwanderungsland definieren. Das heißt, dass man die Leute, die da kommen, nicht als Gastarbeiter sieht, sondern auch als selbstverständlichen Bürger und Teil des Landes.

40 Prozent Matura-Niveau

Das heiße auch, adäquate Jobs und Aufstiegschancen anzubieten. Hier tue sich Österreich besonders sehr schwer, sagt der Arbeitsmarktexperte August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation in Wien. 40 Prozent der Zuwanderer die seit Ende der 90er-Jahre nach Österreich gekommen sind, haben Maturaniveau oder mehr. Das betreffe vor allem Flüchtlinge, sagt Gächter. Aber viele fänden in Österreich keine angemessene Arbeit, weil immer noch die Einstellung gelte: "Wer später kommt, muss unten anfangen, egal, welche Qualifikationen er mitbringt."

Volkswirtschaftlicher Schaden

Der alte Gastarbeiter-Begriff mit seiner Einstellung zur Zuwanderung lebe in den Köpfen vieler Österreicher weiter. Der Schaden für die Volkswirtschaft sei enorm: "Wenn man Bund, Länder und Gemeinden zusammenrechnet, dann sind das zwischen 13 und 15 Milliarden pro Jahr an Steuergeld." Rechne man die entgangene Wertschöpfung dazu, ist der Schaden noch viel größer, sagt Gächter.