Bibelkommentar zu Lukas 19, 28 - 40
Nach dieser Rede zog Jesus weiter und ging nach Jerusalem hinauf. Als er in die Nähe von Betfage und Betanien kam, an den Berg, der Ölberg heißt, schickte er zwei seiner Jünger voraus und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt. Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los und bringt ihn her! Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr ihn los? dann antwortet: Der Herr braucht ihn.
8. April 2017, 21:58
Die beiden machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. Als sie den jungen Esel losbanden, sagten die Leute, denen er gehörte: Warum bindet ihr den Esel los? Sie antworteten: Der Herr braucht ihn. Dann führten sie ihn zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und halfen Jesus hinauf. Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf der Straße aus. Als er an die Stelle kam, wo der Weg vom Ölberg hinab führt, begannen alle Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Wundertaten, die sie erlebt hatten. Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe! Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, bring deine Jünger zum Schweigen! Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
Ein Mann kommt von Osten her über den Ölberg in die Stadt Jerusalem. Er wird begleitet von einer Gruppe Menschen. Gemeinsam ziehen sie über die staubigen und kurvigen Straßen zur Stadt hinunter. Gegenüber sehen sie den Tempelberg, das Ziel ihrer Reise. Eine alltägliche Situation in der Pilgerstadt Jerusalem, alltäglich sowohl vor 2000 Jahren wie auch heute noch. Einzig die Fortbewegungsmittel haben sich verändert: kaum jemand reitet heute noch auf einem Esel nach Jerusalem, man kommt per Auto oder Sammeltaxi.
Eine alltägliche Situation, dieser Einzug in Jerusalem und trotzdem passierte damals vor 2000 Jahren etwas Besonderes. Das bemerkten auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt. Sie bemerkten es spätestens als die Menschen, die Jesus begleiteten, anfingen ihn hochleben zu lassen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe! So mancher Ohrenzeuge mag damals aufgehorcht und manche Augenzeugin aufgeblickt haben: Was sagen die da? Ein König kommt? Ein König im Namen Gottes?
Gerne würde ich in die Menge eintauchen, die sich damals in den Straßen Jerusalems tummelte. Gerne würde ich die Leute auf der Straße fragen: Was halten Sie von dem, was da vorgeht? Wer ist denn dieser Mann, der da von seinen Jüngerinnen und Jüngern gefeiert wird? Für wen halten Sie Jesus? Ich frage mich, was die Jerusalemer Einwohnerinnen und Einwohner mir wohl antworten würden.
Die einen würden vermutlich sagen: „Das ist der langersehnte Befreier, unser Retter aus Unterdrückung und Fremdherrschaft.“ Man würde erzählen, dass er sich nicht scheut, sich mit den Gelehrten und Herrschenden anzulegen. Was man sich von Jesus erwarte? Offenen Kampf, klare Ansagen und die Vertreibung der Römer aus der Stadt, aus dem Land. Kurz vor dem Pessachfest, an dem Jüdinnen und Juden damals wie heute die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei feiern, standen solche Einschätzungen sicher hoch im Kurs.
Andere setzten ihre Hoffnungen eher in seine heilenden Fähigkeiten, von denen sie schon so viel gehört hatten. Endlich kam dieser Jesus auch nach Jerusalem um sich all der Kranken in der Stadt anzunehmen. So könnte eine Augenzeugin über Jesus sagen: Ich hoffe, dass er mich und alle Kranken in Jerusalem heilt, damit ich endlich gesund, glücklich und zufrieden leben kann. Was sie sich von Jesus erwarte? Heilung, inneren Frieden und leibliches Wohlergehen.
Und dann sind da auch noch die Skeptiker, zu denen wohl auch die Pharisäer, von denen Lukas berichtet, gehört haben. Was hätte wohl einer dieser frommen, jüdischen Gelehrten in einem Interview gesagt? Vermutlich hätte er den Aufruhr, der um diesen Jesus von Nazareth gemacht wird, nicht verstanden und ihn deshalb gebeten, seine Jünger und Jüngerinnen zum Schweigen zu bringen. Was er sich von Jesus erwarte? Dass Jesus sich ruhig verhalte, den ihm zugedachten Platz einnehme und die Festtagsruhe nicht störe.
Viele verschiedene Menschen erleben, wie Jesus in Jerusalem einzieht. Viele verschiedene Erwartungen und Sehnsüchte werden an Jesus gerichtet: politische Freiheit, persönliches Wohlergehen, dass er die Ordnung nicht stört. Jesus erscheint hier wie eine Projektionsfläche, auf die jeder und jede die eigenen Sehnsüchte, Wünsche oder Ängste projiziert.
Da frage ich mich: Was hätte ich damals in Jesus gesehen? Was erwarte ich heute von ihm?
Nicht nur vor 2000 Jahren waren die Sehnsüchte und Hoffnungen, die Menschen mit Jesus verbanden, sehr unterschiedlich. Auch heute erhoffen sich Christen und Christinnen ganz Unterschiedliches von Jesus und seinen Nachfolgern: eine starke Institution, Hilfe und Unterstützung für Arme und Kranke, eine gerechte Ordnung.
Damals haben sich diese Wünsche nicht erfüllt. Sie erfüllten sich zumindest nicht so, wie es die Menschen erwarteten. Ihre Erwartungen wurden durchkreuzt. Sie erlebten, wie der Hoffnungsträger Jesus auf bestialische Weise hingerichtet wurde. Ihre Hoffnungen schienen verloren zu sein und waren es doch nicht! Sie erfüllten sich nur anders, als erwartet.
Auch meine Hoffnungen und Sehnsüchte stehen in der Spannung, oftmals anders erfüllt zu werden, als ich es erwarte. Auch meine Erwartungen werden manchmal regelrecht durchkreuzt und es fällt mir schwer diese Erfüllung überhaupt als eine solche wahrzunehmen. Ja, manchmal wird mir dadurch richtiggehend etwas zugemutet.
Was bleibt, ist die Zusage Gottes, dass ich auf ihn bauen darf mit all meinen Sehnsüchten und Hoffnungen, aber im Wissen, dass sie manchmal anders erfüllt werden, als erwartet.