Is eh scho Liacht, Papa

Die "Café Sonntag"-Glosse von Antonio Fian

Meine literarische Arbeit, das darf ich sagen ohne unbescheiden zu sein, hat dazu beigetragen, einer literarischen Form größere Popularität zu verschaffen, die als eigenständige nie ernst genommen worden ist (und wohl auch in Zukunft - man soll sich keine Illusionen machen - nicht wirklich werden wird), dem, wie immer man sie nennen will, Minidrama, Mikrodrama, Dramolett.

Immer öfter gießen Journalisten ihre satirischen Glossen in dramatische Kleinformen, selbst ein Parlamentsabgeordneter der österreichischen Grünen hat sich, mit mäßigem Erfolg, an ihr versucht. Großer Bedarf scheint zu herrschen. Wo immer ich aus meinen Dramoletten vorlese, in Literaturhäusern, Bibliotheken, Schulen, Buchhandlungen, in großen Städten, kleinen Ortschaften, fast jedes Mal tritt nach der Lesung jemand an mich heran, erzählt aus seinem Berufsalltag und fügt hinzu: "Darüber sollten Sie einmal ein Dramolett schreiben."

In den seltensten Fällen ist das möglich. Der Forderung liegt der Irrtum zu Grunde, das Dramolett sei bloß ein witziger Kommentar oder, wie die dramatischen Texte der Journalisten, eine Glosse zur Tagespolitik. Es ist aber mehr, es nimmt für sich in Anspruch, eine eigenständige literarische Form zu sein, gleichberechtigt einem Gedicht, einer Erzählung. Aktualität spielt eine untergeordnete Rolle, bedient es sich aktueller Ereignisse, realer Personen, so nur um das Dauerhafte im Aktuellen, die Figur in der Person aufzuspüren.

Es trifft zu, dass Dramolette häufig der satirischen Literatur zuzurechnen sind, aber das ist nicht immer so. Beckett, der Meister der leeren Bühne, ist so wenig Satiriker wie der Meister des kleinbürgerlichen Ehedramas Karl Valentin, auch wenn sich bei beiden gut lachen lässt. Die kleinen experimentellen Stücke René Altmanns wären für die Bühne noch zu entdecken, und auch Wolfgang Bauers Mikrodramen, diese ungeheuren Materialschlachten in Minutenlänge, harren noch kongenialer Umsetzung.

Es trifft auch nicht zu, dass das Dramolett eine erst jüngst entstandene literarische Gattung wäre, obwohl das, angesichts der Beschleunigung des Alltagslebens, da kaum noch jemand Lust und Zeit hat, Stunden im Theater zu verbringen, nahe liegend scheint. Grabbes "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" gehört zu seinen Vorläufern, und Karl Kraus’ "Die letzten Tage der Menschheit", dieses Stück für Marstheater, kann man berechtigterweise auch als Abfolge von Mikrodramen betrachten, zusammengehalten durch den historischen Bogen des Weltkriegs. Eines der schönsten Dramolette überhaupt stammt von Arthur Schopenhauer und heißt "Gespräch anno 33":

A: Wissen Sie schon das Neueste?
B: Nein, was ist passiert?
A: Die Welt ist erlöst!
B: Was Sie sagen!
A: Ja, der Liebe Gott hat Menschengestalt angenommen und sich in Jerusalem hinrichten lassen: dadurch ist nun die Welt erlöst und der Teufel geprellt.
B: Ei, das ist ja ganz scharmant.

Material für Dramolette findet sich, wie für alle Literatur, allerorten, und mehr als auf die Gestaltung des vorhandenen Materials kommt es darauf an, das richtige auszuwählen. Während, wie gesagt, die vielen heiteren Anekdoten, die man erzählt bekommt, nur in Ausnahmefällen wert sind niedergeschrieben zu werden, fallen einem oft gänzlich unerwartet Dialoge voll Tiefsinn und Trauer zu, wie beispielsweise jener in dem matt erleuchteten Stiegenhaus des Altbauhauses, in dem ich wohne:

Männerstimme (von unten, betrunken, polternd): Moch a Liacht, Kanallje!
Knabenstimme (von oben): Is eh scho Liacht, Papa!

Das, in kürzest möglicher Form, ist ein Dramolett.