Glosse von Severin Groebner

Fair handeln

"Du Onkel", hat mich kürzlich meine Nichte gefragt "was bedeutet eigentlich 'fair'?" So sind sie, die Kinder. Aufgeweckt, interessiert und neugierig. Bis sie in die Schule kommen. Dann wollen sie nichts mehr wissen. Außer wie lang diese verdammte Schule noch dauert!

Meine Nichte aber ist bereits acht, geht seit zwei Jahren in die Schule und ist immer noch an allem interessiert. Daran merkt man, dass die Mutter Museumspädagogin ist. Meine Nichte ist härteren Stoff gewohnt als normale Volksschullehrerinnen.

(Aber meine Nichte hat das noch vor sich. Dafür kann sie schon lesen. Seither liest sie.) Und deshalb ist sie nach wie vor neugierig und fragt, wenn sie was nicht versteht. So soll das sein. Auch wenn ich mich kürzlich geweigert habe, ihr zu erklären, was "Sexworld" bedeutet. Auch bei KHG habe ich gestreikt. Das ist nicht gut für Kinder, wenn sie mit sowas früh in Berührung kommen.

Aber jetzt waren wir gerade an einer Bank vorbeigekommen. Von deren Plakaten lachten uns lauter glückliche Menschen entgegen. Daneben stand: Fair trauen und fair handeln!

"Was bedeutet eigentlich 'fair'?"

"'Fair' bedeutet, dass der Starke dem Schwachen hilft."

"Bei uns in der Klasse verhauen die Starken aber die Schwachen."

"Äh ja. Aber wenn jetzt ein noch Stärkerer käme und jetzt den Starken, der gerade den Schwachen verhaut hat, auch verhaut... dann wär das...?"

"Super!"

"Und was noch?"

"Ein Spaß!"

"Ok, beste aller möglichen Nichten, ich erklär's dir anders... Wenn Du kein Geld hast. Was bist Du dann?"

"Lästig!"

"Nein!"

"Doch. Der Papa sagt immer, wenn ich kein Geld hab, bin ich so lang lästig, bis er mir eines gibt."

"Ja. Ok. Aber wenn man kein Geld hat, dann ist man arm. Schon mal gehört?"

"Ja. Und wenn man arm ist, bekommt man den Frank Stronach."

"Was? Wieso?"

"Der Papa sagt immer, wenn der Frank Stronach im Fernsehen kommt, das ist der Kaiser Franz Joseph für Arme."

"Ah ja."

"Nein, für geistig Arme, sagt er."

"Wie auch immer... also: wenn Du kein Geld hast, gibt Dir der Papa eines. Und warum?"

"Weil ich lästig bin."

"Ja, auch. Aber auch weil er Geld hat. Also ist er... na?"

"Genervt!"

"Nein!"

"Doch. Sagt er ja immer."

"Ok. Aber ist nicht nur genervt, sondern auch reich. Und wenn ein Reicher einem Armen Geld gibt, dann ist das fair. Verstanden?"

"Ja, Onkel, aber warum steht das dann auf der Bank?"

Ich hole tief Luft. Gute Frage, Ich überlege, wie ich einem achtjährigen Mädchen erklären soll, dass das auf der Bank steht, weil die so die Menschen anlocken will, damit die der Bank ihr Geld geben. Geld, das die Bank dann dazu nützt, um es ihren "Investmentbankern" zu geben, die das dann verspekulieren können. Und wenn dann die Bank kein Geld mehr hat, dann läuft sie heulend zu Papa Staat und sagt: "Bitte, bitte hilf mir!"

Und weil die Staaten blöd sind, machen sie das auch. Mit dem Steuergeld ihrer Bürger. Und dann sind die Banken gerettet und die Staaten pleite. Weshalb sie genau den Bürgern, die gerade mit ihrem Geld die Banken gerettet haben, kein Geld mehr geben können. Und die Schwimmbäder zusperren müssen. Und die Krankenhäuser. Und die Kindergärten. Denn dann haben die Staaten Schulden.

"Bei wem denn?" wird mich dann meine Nichte fragen.

"Bei Banken!" werde ich sagen. "Aber das sagen einem die Politiker nicht", werde ich weiter fortfahren, "weshalb sie dauernd davon reden, die Griechen, die Portugiesen oder die Iren gerettet zu haben. Was aber nicht stimmt, gerettet haben sie die Banken. Denn die Banken haben irgendwann in den letzten 20 Jahren allen Politikern eingeredet, dass sie nicht pleitegehen dürfen. Stattdessen gehen jetzt alle anderen pleite: Staaten, Gemeinden, Betriebe und Menschen. Nur die Banken nicht. Die kriegen immer nur das Geld."

Und da wird mich meine Nichte fragen: "Aber was hat das mit fair zu tun?"

Und ich werde in ihre großen Kinderaugen blicken und sagen:

"Liebste Nichte. Das hat gar nichts mit fair zu tun."

"Und warum drucken die das dann auf ihre Plakate?"

"Weil sie das Geld haben - und wir nicht."

"Das ist unfair!" sagt meine Nichte.

"Stimmt!" sage ich.

"Vielleicht sollten wir einfach lästig sein, dann geben sie uns auch ein Geld"

"Ja, da hast du recht. Zur Abwechslung sollten wir mal lästig sein. Das wär fair gehandelt!"