Kultur ohne "Rückstände"

Der Künstler Tino Sehgal schafft keine Gemälde, Videos, oder Skulpturen, sondern "konstruierte Situationen". Mit diesem eher sperrigen und vor allem kunstmarktfeindlichen Zugang wurde der erst 36-jährige Sehgal innerhalb weniger Jahre vom Geheimtipp zum Liebling der Kunstszene. Ab heute choreographiert er eine dreitägige Intervention in der Kunsthalle Krems im Rahmen des Donaufestival Krems.

Tino Sehgal

Tino Sehgal

(c) Victoria Grünhut, Kunsthalle Krems

Morgenjournal, 26.4.2013

Nominiert für den Turner-Preis

Tino Sehgals Arbeiten sind geheimnisumwittert. Mit seinen so genannten "konstruierten Situationen", die mit einer Performance verglichen werden können, schleicht sich Sehgal in Museumsräume und große Ausstellungen ein und schafft Irritationen.

Das sieht dann zum Beispiel so aus: Eine Akteurin in der Uniform einer Museumswärterin beginnt unvermittelt zu singen und konfrontiert überraschte Museumsbesucher mit dem Satz "This is propaganda, you know, you know, you know."; die Kunst als große Propagandamaschine - abhängig von Mäzenen und Kapital.

In der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern Gallery, die normalerweise nur von Großkünstlern wie Ai Wei Wei, Anish Kapoor, oder Olafur Eliasson bespielt wird, inszenierte Sehgal im vergangenen Herbst einen riesigen Flashmob mit rund 70 Akteuren. Eine Art Choreographie der Masse, vielleicht ein Versuch, das hektische Treiben der Metropole in einen Kunstraum einzukapseln.

Über seine Arbeit in Krems wollte Tino Sehgal im Vorfeld nichts verraten. Nur so viel: "Nach dem Großprojekt in der Turbinenhalle der Tate Modern hatte ich Lust, ein intimeres Format zu entwickeln.", sagt Tino Sehgal.

Situationsabhängig

Im Interview gibt sich Tino Sehgal zugeknöpft bis sperrig. Er redet nicht gerne über seine Arbeiten. Eine leere Seite fand sich im Katalog der documenta 2012, an jener Stelle, wo eigentlich ein Begleittext zu Sehgals Beitrag stehen hätte sollen. Film- und Fotoaufnahmen seiner Interventionen sind ohnehin streng verboten.

„Natürlich könnte ich ein Video machen, aber das wäre gar nicht interessant für jemanden, weil das nicht seine eigene Antwort ist, die weiterentwickelt wird. Es ist wichtig, dass der Betrachter wirklich in der Situation ist.“, sagt Sehgal.

Tino Sehgal ist am besten Wege Weltruhm zu erlangen. Dabei ist der ausgebildete Choreograph gerade einmal 36 Jahre alt. Und: Er unterläuft, so scheint es zumindest auf den ersten Blick, sämtliche Regeln des Kunstmarktes. Sehgals Arbeiten sind immateriell und flüchtig. Es interessiere ihn nicht, verkäufliche Kunstobjekte zu schaffen, betont er, er wolle vielmehr Situationen inszenieren, die ein Moment der Poesie freisetzen, oder aber zum Nachdenken anregen.

Handel mit virtuellen Werten

Ganz neu ist das nicht. Schon die Performancekunst der 60er und 70er Jahre wollte den Fetisch Kunstobjekt vom auratischen Sockel stürzen. Doch während viele Performancekünstler, nicht zuletzt aus der Notwendigkeit heraus von ihrer Arbeit auch leben zu können, zum Beispiel Fotoserien auf den Markt bringen, die von Sammlern erworben werden können, lehnt es Sehgal kategorisch ab, sich den Anforderungen des Marktes zu beugen.

"Private Sammler kaufen meine Arbeiten kaum. Meine Arbeit ist nicht dekorativ und taugt nicht zur Inneneinrichtung wie ein Gemälde. Und das meine ich durchaus nicht despektierlich. Es gibt ein paar Museum, hauptsächlich in den Hauptstädten des Westens, die meine Arbeit kaufen.", sagt Tino Sehgal.

Darunter ist das New Yorker Guggenheim Museum. Zum Angreifen hat der Käufer freilich nichts. Die Sammler seiner Werke bekommen noch nicht einmal einen Kaufvertrag. Sehgal überträgt dem Käufer lediglich mündlich das Recht, das erworbene Werk aufzuführen. So mancher Kunstkritiker hat darin, eine Parallele zur Finanzwirtschaft gesehen, die ebenfalls mit virtuellen Werten Handel treibt. Gut möglich, denn neben Choreographie hat Tino Sehgal auch Volkswirtschaft studiert.

Service

Ö1 Club-Mitglieder bekommen beim donaufestival ermäßigten Eintritt (um eine Kategorie).

Donaufestival - Tino Sehgal

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