"Lore": Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg
Der Film "Lore" thematisiert die Flucht eines Mädchens und seiner Geschwister durch Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach ihrem Debütfilm "Somersault" legt die australische Regisseurin Cate Shortland mit "Lore" ihren zweiten Spielfilm vor, der auf der gleichnamigen Novelle aus dem Booker-Prize-nominierten Roman "Die dunkle Kammer" der britischen Autorin Rachel Seiffert basiert.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 2.5.2013
Die Geschichte spielt in einer Zeit, in der Kinder ihre Eltern noch Mutti und Vati nannten. Erziehung und Disziplin wird hoch gehalten im Haushalt einer Nazi-Größe und die 15-jährige Lore (Saskia Rosendahl), ein blondes Mädchen mit Zopffrisur wie aus dem Nazi-Bilderbuch, hat nicht nur Bewunderung für ihren Vater übrig, sondern auch für den Übervater der Nation und seine Lehren. Der Glaube an den "Endsieg" ist bis zuletzt vorhanden.
Täter-Perspektive
Doch Mutti und Vati machen sich schon bald aus dem Staub. Von "Führer, Volk und Vaterland" bleibt nicht viel übrig, als auch Lore und ihre vier Geschwister flüchten müssen. Zur Omi nach Hamburg wollen sie. Von einer Odyssee durch ein zerstörtes und besetztes Deutschland und von einem Überlebenskampf erzählt dieses Drama nach außen, nach innen von einem schmerzhaften Erkenntnisprozess und Wertewandel.
Ungewöhnlich ist der Blick der australischen Regisseurin Cate Shortland, deren Ehemann deutsch-jüdische Wurzeln hat. "Ganz bewusst habe ich die Täter-Perspektive gewählt", meint Shortland.
Weltbild im Wandel
Lore wird aus ihrem behüteten Dasein herausgerissen und habe plötzlich jede Menge Verantwortung, meint Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl. Auch als sich ein befreiter KZ-Insasse der Kindergruppe anschließt und ihr hilft, herrscht weiter Misstrauen. Doch Leichen pflastern Lores Weg, vergewaltigte Frauen, die am Wegrand vermodern, in der Zeitung finden sich Bilder der ausgemergelten Körper von KZ-Insassen, langsam aber sicher gerät das Weltbild der 15-Jährigen ins Wanken. Auch die Weizenfelder sind nicht mehr goldglänzend, sondern liegen brach in fahles Braun getaucht. Und ihre eigentliche Zuneigung zu Thomas kann Lore nur im Gegenteil zum Ausdruck bringen.
Platz für Poesie
Road-Movie mit Horrormotiven, Geschichtslektion und Psychodrama. Regisseurin Cate Shortland balanciert Gemütszustände und Gefahrenmomente, hält zudem glaubwürdig die innerliche Zerrissenheit der Hauptfigur aufrecht bis hin zu einem Akt der endgültigen Emanzipation. Manch poetische Pause von der Düsterkeit ist klug gewählt, ebenso, dass sich Shortland nicht zur Richterin in Sachen Moral ernennt.