Bibelkommentar zu Johannes 17, 20 - 26
"Damit alle eins sind." Dieser kurze Satz aus dem eben gehörten Evangelium nach Johannes: für mich hat er seit einigen Jahren einen neuen Sinn bekommen.
12. Mai 2013, 15:47
Seit damals, als wir, Lehrende und Studierende gemeinsam, von der Hochschule Heiligenkreuz in die Slowakei gefahren sind. Unser Ziel war die Stadt Nitra, nicht weit weg von Bratislava. Unser Programm in Nitra: Gottesdienst und Gespräch mit Bischof Jan Korec. "Ut omnes unum sint", lautet sein Wahlspruch, "damit alle eins sind".
Und schließlich: Bischof Korec erzählt aus seinem bewegten Leben. April 1950, "Aktion K": landesweit wurden damals Tausende Ordensleute von den Kommunisten interniert, auch er selbst, als Jesuit. August 1951: da sei er zum Bischof geweiht worden, im Alter von erst 27 Jahren. Klar, zum "Geheimbischof", mitten in einer der schwersten Kirchenverfolgungen im europäischen Raum. Viele Jahre habe er dann wegen verbotener Seelsorgearbeit im Gefängnis verbringen müssen. "Ut omnes unum sint": sein Wahlspruch gab ihm selber die Kraft zum Durchstehen. "Damit alle eins sind": biblischer Trost und Halt auch für viele seiner Mitchristen.
Ein Aufatmen geht durch das Kirchenschiff, als er vom Fall des Eisernen Vorhangs erzählt, von der Wiederherstellung der Religionsfreiheit im Jahre 1989. Nur Monate später habe ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Nitra ernannt und 1991 zum Kardinal kreiert. Und jetzt sei er schon recht alt - schmunzelnd setzte er es hinzu - er, der 78. Nachfolger des hl. Method, der im Jahr 880 das Bistum Nitra gegründet hat.
Die Begegnung mit Kardinal Korec, seit 2005 ist er als Bischof emeritiert, diese Begegnung hat mich sehr beeindruckt. "Ut omnes unum sint": sein Wahlspruch begleitet mich schon lange. Seit meinem Theologiestudium weiß ich, dass das Johannes-Evangelium erst 60 Jahre nach Jesu Leben und Wirken entstand, also gegen Ende des 1. Jahrhunderts. Dass es den orientalischen Parallelismus liebt, also ein und derselbe Gedanke zwei oder gar drei Mal wiederholt wird. Dass es den knappsten Wortschatz des ganzen Neuen Testaments aufweist. Und dass es trotzdem die tiefste und ausgereifteste Theologie der vier Evangelien vorlegt.
"Alle sollen eins sein": der kurze Satz hat mich auch in meinem weiteren Leben und Arbeiten begleitet. Vor allem in Fragen der Ökumene, bei Pax Christi und ebenso in meinem Engagement bei WCRP, bei "Religionen für den Frieden". Diese Organisation setzt sich weltweit für den interreligiösen Dialog ein. Mit Maria Lücker, Smail Balic und anderen habe ich dieses "Forum für Weltreligionen" nach Österreich gebracht.
"Alle sollen eins sein": das wird und soll mich auch in Zukunft begleiten. Denn weiter heißt es in diesem mir so wichtigen Vers: "Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein" (Joh 17,21). Dieser Jesus, ganz Mensch, wirklich "Fleisch geworden" (Joh 1,14): im Johannes-Evangelium ist er durchwohnt von Gottes Nähe, durchlebt von seinem himmlischen Vater, durchstrahlt von dessen Herrlichkeit.
"Du in mir, ich in dir, sie in uns": was Johannes immer wieder anders, immer wieder neu in Worte fasst und was ich nur schwächer, nur dünner wiedergeben könnte - das zu verstehen, zu erahnen, dazu hilft mir am besten ein Bild. Je nach Religion, je nach Lehre, erinnert ein Abt, spricht eine Heilige, sagt ein Rabbi oder erzählt ein Zen- bzw. Sufi-Meister: "Stell dir ein Rad vor, mit den Speichen und der Nabe. Wir, das sind die Speichen; die Nabe, das ist Gott. Je näher wir, die Speichen, zur Nabe, zu Gott, kommen - desto näher kommen wir auch einander".