Streit EU - GB über Sozialleistungen
Die EU-Kommission hat diese Woche beschlossen, Großbritannien vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Die britische Regierung will die Zuwanderung stärker einschränken, doch die EU-Komission wirft ihr vor, schon jetzt zu restriktiv zu sein: Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten bekommen in Großbritannien nämlich nicht alle Sozialleistungen, die Briten zustehen. Das ist der Grund für eine Klage mit politischer Sprengkraft.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 1.6.2013
Die Wogen gehen hoch
Die EU-Komission bringt Großbritannien vor den Europäischen Gerichtshof - was Kommissionssprecher Jonathan Todd in Brüssel mit ruhigen Worten ankündigt, das schlägt in Großbritannien ein wie eine Bombe: "Die EU-Komission schießt da über ihr Ziel hinaus, sie ist fundamentalistisch in Rechtsfragen, damit unterminiert sie jegliches allgemeines Vertrauen in die Idee der freien Personenverkehrs", sagt Stephen Booth, der Direktor des Thinktanks Open Europe gegenüber der britischen BBC.
Worum geht es? Großbritannien wendet bei der Zuerkennung von Sozialleistungen verschiedene Kriterien an - so ist es etwa für Briten und Iren einfacher, Arbeitslosengeld zu bekommen, als für andere EU-Bürger, erklärt Adam Weiss, Rechtsexperte einer Bürgerrechtsorganisation, die Immigranten dabei unterstützt hat, gegen diese Ungleichbehandlung Beschwerde bei der EU-Komission einzulegen: "Unsere Organisation hilft hunderten Menschen jedes Jahr, denen Sozialleistungen verweigert werden, das sind Leute die hier leben, hier gearbeitet und ihre Steuern bezahlt haben. Das EU-Recht besagt, dass bei gewissen Sozialleistungen Diskriminierung nach der Herkunft verboten ist."
"Wir wollen keinen Sozialtourismus"
Der britische Arbeitsminister Iain Duncan Smith verteidigt die Politik seines Landes, Ziel sei es, Missbrauch zu verhindern: "Bei der Personenfreiheit geht es um Marktwirtschaft, darum dass Briten und andere EU-Bürger in andere Länder fahren dürfen um dort zu arbeiten. Was wir aber nie wollten ist, dass sich Menschen ein Land aussuchen, das ein besseres Sozialsystem hat als ihr eigenes, dort dann nichts arbeiten, aber Sozialleistungen beanspruchen."
Unter dem Schlagwort benefit tourism - Sozialtourismus - wird die Debatte darüber in Großbritannien geführt. Parteien. wie die EU-kritische United Kingdom Indepence Party, kurz Ukip, machen vor allem gegen Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien Stimmung. 50.000 würden jährlich aus diesen Ländern nach Großbritannien kommen, erklären einwanderungskritische Organisationen. Wissenschaftler bezeichnen dies Zahlen als bei weitem übertrieben - trotzdem, das Thema ist heikel. Die Ukip hat bei den jüngsten Regionalwahlen ein Viertel der Stimmen bekommen, vor allem die Konservativen von Premier David Cameron fürchten, ihre Wähler zu verlieren und kritisieren die Entscheidung der EU scharf: "Das ist wie Landraub, was die Europäische Kommission da macht, das geht zu weit", sagt Arbeitsminister Duncan Smith.
Die Kommission bleibt hart
Ist noch ein Rückzieher der Kommission möglich?
"Kurz gesagt: nein", meint Kommissionssprecher Todd. Schließlich habe die EU bereits zwei Jahre ohne Ergebnis mit Großbritannien über die diskriminierenden Regelungen verhandelt. "Wir werden diesen Rechtsstreit gewinnen", gibt sich Duncan Smith freilich überzeugt.
Stephen Booth vom Thinktank Open Europe meint, die EU habe sich mit der Entscheidung für die Klage aber sicher nicht Gutes getan: "Das ist eine große Rekrutierungshilfe für jene, die wollen, dass Großbritannien aus der EU austritt - es sieht fast so aus, als wollte uns die EU-Kommission hinaustreiben."
Schon in den letzten Monaten hatte Premier Cameron ja vermehrt mit dem europakritischen Flügel seiner Partei zu kämpfen und musste ihm immer wieder Zugeständnisse machen - etwa die Zusage, in vier Jahren ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abzuhalten. Doch jetzt - nach der Ankündigung der Klage - sind europakritische Stimmen nicht mehr nur aus den Reihen der Tories und von der Ukip zu hören, auch der Koalitionspartner der Konservativen, die Liberaldemokraten, und die oppositionelle Labour-Party sind sich jetzt einig: Die EU-Kommission hat einen schweren Fehler gemacht.