Cabo de Gata

Es geht um eine Reise, im neuen Roman von Eugen Ruge, um eine Reise in den Süden aber auch um eine Reise im Kopf, eine Reise in der Erinnerung.

Der Erzähler, ein ehemaliger Chemiker um die 40, leidet unter seinem monotonen Berliner Alltag, unter der Trennung von seiner Freundin und seinem pedantischen Vater, und auch mit dem Roman, den er schreiben will und für den er sogar seinen Job gekündigt hat, kommt er nicht voran.

Spontaner Aufbruch

Als er in einem Café ein Gespräch über Absatzprobleme und Gewinnspannen mithört, beschließt er aus einem Impuls heraus, die Stadt, das Land und sein Leben zu verlassen. Ausgerüstet mit einem Messer, einer Dose Pfefferspray, ein paar Schreibheften und einer Hängematte macht er sich gen Süden auf und landet durch Zufall in einem Ort in Andalusien namens Cabo de Gata, zu Deutsch: Kap der Katzen.

Eigentlich will er gar nicht hier bleiben, eigentlich will er schon am nächsten Tag weiterreisen – aber dann bleibt er doch. Ein bisschen ist Eugen Ruges Geschichte autobiographisch geprägt – aber eben nur ein bisschen.

"Wenn ich eine Geschichte in der Ich-Form schreibe, nicht, dann lege ich es natürlich darauf an, dass die Vermutung entsteht, das ist ja autobiographisch. Ich will das nicht vollkommen abstreiten, das ist nicht ganz falsch, ja? Aber wenn man das so versteht, dass jedes, was da geschieht, so geschehen ist, ja, dann ist das natürlich falsch, nicht? Der Stoff für die Geschichte, der kommt nicht nur aus Cabo de Gata, das ist ein bisschen umfassender, nicht? Es ist ja auch sehr vielschichtig, die Geschichte ist ja sehr einfach, das ist ja eine ganz einfache Geschichte, aber mit vielen Schichtungen darunter, ja?", sagt der Autor Eugen Ruge.

Schlichte Fassade des Textes ist bloße Tarnung

Dahinter verbergen sich mehrere Ebenen, etwa jene des Erinnerns. Denn der Erzähler schreibt all dies 15 Jahre später auf, als er bereits ein gefeierter Schriftsteller ist, er schreibt ausschließlich aus seiner Erinnerung, verwendet keine Notizen oder Fotos, er erinnert sich an Kleinigkeiten, an gelbe Lichter auf der Promenade, an zwei Männer in Pyjamas, die jeden Morgen miteinander streiten, an einen herrenlosen Koffer und eine Frau mit Gipsbein oder an die Fischer, die ihre Boote reparieren.

So vergehen die Tage, mit dem Roman kommt der Mann nicht voran, dafür trifft er einen Engländer mit Motorrad, einen Amerikaner, der irgendwann verschwindet – und eine Katze. Eine kleine, rot getigerte Katze, die ihm folgt, die der Mann füttert, die am nächsten Tag wiederkommt. Sie wird für den Mann zur Botschafterin, er glaubt, in ihr seine verstorbene Mutter zu erkennen, und als das Tier nach ein paar Tagen nicht mehr auftaucht, beginnt er, es in der Nacht zu suchen.

Hier tritt eine weitere Ebene des Textes zutage, eine philosophische Ebene, die über die Realität hinausgreift. Überhaupt bewegt sich Eugen Ruges Roman an einer feinen Linie zwischen Realem und Irrealem. Eine Metallkiste am Strand könnte ein Seesarg sein, in dem der verschwundene Amerikaner liegt, die Katze hat vielleicht eine Botschaft oder ist vielleicht nur eine Katze.

Es geht um die Frage, wie Hoffnung funktioniert und wo die Fallen lauern, es geht um Erinnerungen an die DDR und an ein analoges Leben, in dem Laptops und iPhones keine Rolle spielten – ein Aspekt der Geschichte, der Eugen Ruge besonders wichtig ist.

"Sozusagen die Wiederentdeckung der analogen Welt, nicht, obwohl diese Figur ja noch gar nicht im digitalen Zeitalter angekommen ist, nicht, das heißt, der Erzähler, der Ich-Erzähler lebt in diesem Zeitalter, nicht, das schimmert so ein kleines bisschen durch, nicht, aber die Figur, die nach Cabo de Gata fährt tatsächlich, die ist noch nicht da angekommen, und trotzdem erzählt ja der heutige Erzähler darüber, nicht? Es ist sozusagen eine Entgegensetzung in Bezug auf eine Vorahnung oder so, nicht?", sagt Eugen Ruge.

Klug, tiefsinnig und graziös

All diese gewichtigen Themen verpackt Ruge in einer federleichten Prosa, beschwingt und charmant, einer Prosa, die alles Schwere in eine wunderbare Luftigkeit verwandelt, ohne im Mindesten banal zu werden.

Es ist ein ungeheuer kluges, tiefsinniges und gleichzeitig graziöses Buch, das bei jedem Wiederlesen weitere Ebenen offenbart, und über das Eugen Ruge am liebsten gar nicht sprechen würde, aus Sorge, den fragilen Text dadurch zu entzaubern – auch wenn diese Sorge ganz und gar unbegründet ist.

Service

Eugen Ruge, "Cabo de Gata", Rowohlt Verlag