Gezi-Park: Niederlage für Erdogan

Niederlage für den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan: Die Justiz seines Landes hat das umstrittene Bauprojekt am Gezi-Park in Istanbul vorerst gestoppt und die Entscheidung damit begründet, dass die Bewohner über das Vorhaben nicht ausreichend informiert wurden.

Mittagsjournal, 4.7.2013

Der Gezi-Park in Istanbul wird immer mehr zum Symbol einer jungen und aufgeklärten Zivilcourage-Bewegung in einer Türkei, deren Zug der Zeit pilotiert von Ministerpräsident Erdogan und dessen AK-Partei eigentlich weg führt vom Laizismus des Staatsgründers Atatürk. Gezi-Park ist, ins österreichische übersetzt, eine Art Hainburg, denn wie 1984 bei uns scheint auch in Istanbul ein Bauprojekt gestoppt, dass zwar legal war, aber längst nicht berechtigt. Nun hat auch ein türkisches Gericht das Bauprojekt im Gezi-Park stillgelegt, für die Protestbewegung vom Taksim-Platz ein kleiner, aber feiner Etappensieg.

Vier Tote und hunderte Verletzte

Der Istanbuler Gezi-Park wird bald so grün sein, wie er noch niemals war. Die Parkfläche wird nicht verkleinert, sondern vergrößert, um Platz für mehr Pflanzen und Sitzbänke zu machen. Das hat die Istanbuler Stadtverwaltung gestern einer staunenden Öffentlichkeit mitgeteilt. Nach drei Wochen Kampf, der mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummiknüppeln geführt wurde, nach vier
Toten und hunderten Verletzten nun auf einmal diese Kehrtwendung.

Viele Istanbuler reagierten zunächst skeptisch. Was sie gestern allerdings nicht wissen konnten: Der Stadtregierung bleibt gar keine andere
Wahl als ihre Bulldozer abzuziehen. Denn, wie erst jetzt bekannt wurde, ein Gericht bereits am 8. Juni Erdogans Pläne rund um den Taksim-Platz für illegal erklärt. Die Entscheidung der Justiz war erst für Ende Juli erwartet worden. Und dass sie nun doch schon längst gefallen ist, und zwar gegen die Regierung, das erfuhr die Öffentlichkeit erst gestern Abend. Allerdings weder von der Justiz noch von der Regierung, sondern von einem Anwalt der Projektgegner.

Wenn das Urteil halten sollte, dann erscheint die gewaltsame Räumung des Gezi-Parks in der Nacht vom 15. Juni in einem noch schlimmeren
Licht als bisher. Erdogan hätte dann die Gegner eines illegalen Projekts durch die Stadt treiben lassen. Das erklärt wohl die Diskretion, mit der der Spruch des Verwaltungsgerichts behandelt wurde.

Erdogan blickt schon auf Präsidentenamt

Der Ministerpräsident wird dennoch kaum ein Problem damit haben, das Thema Gezi-Park beiseite zu schieben. Längst hat er damit begonnen, seine
Anhängerschaft für die Präsidentenwahlen im nächsten Jahr zu mobilisieren. Dabei benützt er einen einfachen Gegensatz: Hier die guten
Türken, die so wie er und die Mehrheit des Landes am wirtschaftlichen Fortschritt arbeiten, dort die neidischen Nachbarn und Großmächte, die alles
tun wollen, um den Erfolg der Türkei zu bremsen.

Glaubt man den Meinungsumfragen, ist Erdogan nun wieder im Aufwind. Die Oppositionsparteien konnten den wochenlangen Konflikt nicht für sich
nutzen. Im Gegenteil: Wenn so viele Menschen in vielen türkischen Städten auf die Straße gingen, dann wohl nicht nur aus Wut auf Erdogan, sondern
auch weil die anderen Parteien so chancenlos erscheinen.

Ohne Folgen ist der Gezi-Konflikt nicht geblieben: Die türkische Polizei wurde
aufgewertet und gestärkt, und das Militär wird durch eine geplante Gesetzesänderung endgültig aus dem innenpolitischen Machtspiel ausgeschlossen. Hatte die Armee bisher ausdrücklich die Aufgabe, die türkische Republik zu schützen, so wird sie nun darauf beschränkt bleiben, äußere Gefahren abzuwehren.

Eine Entwicklung wie die in Ägypten soll in der Türkei damit für alle Zeiten ausgeschlossen bleiben.