Systemfehler statt Ärztemangel

Ein grundlegendes Argument für eine neue medizinische Fakultät in Linz ist der angeblich drohende Ärztemangel. Tatsächlich hat Österreich aber eine der höchsten Ärztedichten in Europa und sogar weltweit. Neben vielen anderen Fachleuten und Einrichtungen äußert auch der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer starke Bedenken gegen eine vierte Ausbildungsstätte für Mediziner - sei sie nun in Linz oder anderswo.

Mittagsjournal, 10.07.2013

Österreich hat 5 Ärzte pro 1000 Einwohner

Bis auf Griechenland, das aber nur schlampige Statistiken führt, hat Österreich laut Erhebung des Gesundheitsministeriums mit fast 5 Ärzten pro 1000 Einwohner die meisten Mediziner weit und breit. Dass man als Patient trotzdem oft Wochen oder sogar Monate auf einen Termin beim Kassenarzt warten muss, hat einen einfachen Grund, sagt der unabhängige Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer: "Die Kassensysteme sind derzeit so ausgelegt, dass der Arzt so wenig Geld pro Fach kriegt, dass er im wesentlichen keine ernsthafte Planung vornehmen kann. Um wirtschaftlich überleben zu können, muss ein Kassenarzt in Österreich sein Wartezimmer vollstopfen. Wenn man heute zum Wahlarzt geht, sieht das ganz anders aus. Das heißt: In Wirklichkeit erleben wir heute einen Mangel an Ärzten, die bereit sind, für das öffentliche System zu arbeiten."

Ausgebildete Ärzte verlassen Österreich

Viele der in Österreich ausgebildeten Mediziner gehen nach dem Studium ins Ausland, und mit den Absolventen einer Medizinfakultät in Linz werde sich das erst recht so verhalten, meint Pichlbauer, zumal sie nach derzeitiger Planung auf besonders attraktive Fächer spezialisiert sein soll: "Die Medizin-Universität Linz versucht ja besondere Aspekte zu betonen, die auch moderne Medizin betreuen, zum Beispiel public health und Altersmedizin. Dann werden diese Ärzte ja extrem wenig Grund haben, in Österreich in das öffentliche Versorgungssystem einzutreten. Das heißt: Wir werden dort Ärzte ausbilden, die noch viel schneller das Land verlassen als die Ärzte, die wir an den anderen Universitäten ausbilden. Dementsprechend kann eine Med-Universität in Linz keine Antwort sein auf den virtuellen Mangel bei Kassenärzten und Spitalsärzten."

Pichlbauer: ambulant vor stationär

Stattdessen, so der Gesundheitsökonom, sollte das Kassensystem so geändert werden, dass es wieder attraktiv werde eine Kassenpraxis zu eröffnen: "In realita müssten wir hergehen und diese Spitalslastigkeit endlich abbauen. Denken wir daran, dass etwa 70 Prozent mehr Spitalsaufnahmen als im europäischen Schitt existieren. Würden wir also diese Spitalslastigkeit abbauen können, würden auch viele Ärzte und Fachärzte freigesetzt werden können, die in dem völlig ausgedörrten ambulanten Versorgungssystem nötig wären. Wir brauchen keine neuen Ärzte, wir müssen endlich beginnen, eine Strukturreform durchzusetzen, die das Prinzip ambulant vor stationär ernst nimmt", sagt Ernest Pichlbauer.