Kunstsammler in Venedig

Private Kunstsammler haben Venedig für sich entdeckt. Der französische Milliardär Francois Pinault unterhält seit 2006 zwei Privatmuseen in Venedig, und erst im vergangenen Jahr eröffnete die Fondazione Prada ein Museum in einem Palazzo am Canal Grande. Ein Rundgang durch Venedigs Sammlermuseen.

  • Jeremy Deller`s Jachtbild

    "English Magic" ist der Titel der englischen Pavilion

    (c) MEROLA, EPA

  • punta della dogana

    Punta della dogana

    (c) Pinault

  • Installation von Ryan Tricartin und Lizzie Fitch

    Installation von Ryan Tricartin und Lizzie Fitch

    (c) Pinault

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Kulturjournal, 15.07.2013

Die Biennale in Venedig ist nicht nur eine der größten Kunstausstellungen der Welt, sie ist auch ein riesiges Spektakel. Alle zwei Jahre zieht es die internationale Kunstkarawane in die Lagunenstadt.

Doch anders als noch vor 20 Jahren kommen nicht nur Kuratoren, Künstler und Ausstellungsmacher, sondern auch der internationalen Jetset. Vor den Giardini ankern die Jachten betuchter Sammler, auf den zahlreichen Partys, die am Eröffnungswochenende stattfinden, tummeln sich Stars wie Leonardo DiCaprio, Salma Hayek oder Tilda Swinton.

Im britischen Pavillon nahm Jeremy Deller heuer Bezug auf diese Entwicklung: Auf einem Bild lässt er Roman Abramovics riesige Jacht "Luna" zerschellen. Sie thronte bei der vergangenen Biennale 2011 protzig vor dem Ausstellungsgelände. Den Kunst-Jetset wird Deller freilich nicht abschrecken. Private Sammler haben die Stadt längst für sich entdeckt. Der französische Milliardär Francois Pinault unterhält seit 2006 zwei Privatmuseen in Venedig und erst im vergangenen Jahr eröffnete die Fondazione Prada ein Museum in einem Palazzo am Canal Grande.

Die Kunst des Spektakels

In der Eröffnungswoche der Biennale platzt Venedig aus allen Nähten. Die Lagunenstadt, die ohnehin täglich von Tausenden Touristen geflutet wird, wird zur Bühne des internationalen Kunst-Jetsets. Wer Rang und Namen hat kommt hierher. Über 4.000 Journalist/innen haben sich in diesem Jahr für die Biennale akkreditiert.

Auch die Ausstellung selbst wird immer größer. 88 Nationen nehmen heuer teil. Philip Rylands, Direktor der Guggenheim Collection in Venedig, besucht die Biennale seit den frühen 1980er Jahren. Er hat hautnah miterlebt, wie aus einer der wichtigsten Ausstellungen der Welt ein riesiges Kunst-Event geworden ist:

"Heute denkt man beinahe mit nostalgischen Gefühlen an die 1980er Jahre. Damals hat die Biennale aus einem großen Pavillon in der Mitte der Giardini und rund 20 Pavillons, die wie Satelliten rundherum verstreut waren, bestanden. Heute ist das ganze Arsenale eine Ausstellungsfläche. Die Biennale hat die gesamte Stadt erobert und ist riesig geworden. Es gibt keinen Palazzo, der nicht seine Pforten öffnet, um Kunst zu zeigen. Und alle Künstler haben das Gefühl, hier sein zu müssen. Die Biennale hat zwei Gesichter: Sie ist ein Event der Kunstwelt mit unzähligen Partys und eine Ausstellung. Nach der Eröffnung, wenn der Event vorbei ist, beginnt die eigentliche Biennale. Fünfeinhalb Monate, in denen in der ganzen Stadt zeitgenössische Kunst gezeigt wird. Die wirklichen Kunstliebhaber kommen nach der Eröffnung, um sich die Kunstwerke in einer ruhigeren Atmosphäre anzuschauen."

1895 fand die Biennale zum ersten Mal statt. In ihren Anfangsjahren galt sie nicht gerade als Ort der Avantgarde. Doch es war ein geradezu visionärer Schachzug, in Venedig eine regelmäßig stattfindenden Großausstellung zu etablieren. Ein Stadtmarketingexperte der Gegenwart hätte keinen besseren Vorschlag haben können für eine Stadt, die schon damals zu einem großen Teil davon lebte, dass Schöngeister und betuchte Bürger sie zur bevorzugten Kulisse ihrer Phantasien machten. Damals gab die einstige Seemacht Venedig eine pittoreske Kulisse für die Eliten ab, so wie sie heute ein malerische Fotomotiv für die Massen liefert. Besondere Faszination übte die Lagunenstadt mit ihrer reichen Geschichte und ihrer unerschöpflichen Kunst- und Architekturschätzen auf amerikanische Besucher aus. Auch die Millionenerbin und Kunstmäzenin Peggy Guggenheim, Nichte des Gründers des New Yorker Guggenheim Museum, Solomon R. Guggenheim, träumte von Venedig.

Eine pittoreske Kulisse für die Eliten

1948 erwarb Peggy Guggenheim einen Palazzo am Canal Grande. Regelmäßig präsentierte sie dort ihre Sammlung, in der sich alle großen Namen der Vorkriegsavantgarde finden, darunter Picasso, Duchamp, Léger, Giacometti, Dali, Magritte, Mondrian und viele andere. "Peggy war eine Pionierin. 1948 war Venedig keineswegs ein Zentrum der zeitgenössischen Kunst. Die Biennale war in den 1920er und 30er Jahren nicht, was sie heute ist. Die frühen Biennalen erinnern eher an konservative Salonausstellungen. Hin und wieder wurde zeitgenössische Kunst gezeigt. Mondigliani war 1920 bei der Biennale, aber man hielt ihn für verrückt. Die internationale Avantgarde war in Venedig nicht zuhause! Das änderte sich ab 1948. Peggy Guggenheim zeigte ihre Sammlung 1948 bei der Biennale und das war fast programmatisch für die folgenden Jahre."

Heute befindet sich eines der Museen des weltweiten Guggenheim-Imperiums in Venedig. Peggy Guggenheim übergab ihre Sammlung noch zu Lebzeiten an die Guggenheim Foundation, die von ihrem Onkel Solomon R. Guggenheim gegründet worden war. Bedingung war, dass ihre kleine, aber sehr erlesene Sammlung in Venedig bleibt. Dass die Stiftung ihre Sammlung annehmen würde und damit die Herausforderung, sich von New York aus um eine Dependance in Venedig zu kümmern, war keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. In den 1970er Jahren war die global agierende Kunstmarke Guggenheim, die Museen in Bilbao, Berlin und Abu Dhabi gründet, noch nicht erfunden worden.

Privatmuseum am Canal Grande

Verlässt man die Guggenheim Collection und hält sich links, gelangt man nach wenigen Minuten zu dem Privatmuseum eines Geschäftsmannes, der sich als Kunstmäzen gefällt. Francois Pinault, Gründer der Unternehmensgruppe PPR, zu der so ausgesuchte Marken wie Gucci und Yves Saint Laurent gehören, aber auch das internationale Auktionshaus Christie's, hat sich in Venedig einen Traum erfüllt.

2006 hatte der französische Multimilliardär und Kunstsammler den klassizistischen Palazzo Grassi gekauft und zum Museum umbauen lassen. 2009 eröffnete er an der Mündung des Canal Grande sein zweites Privatmuseum, die Punta della Dogana, einst das Zollager der Republik Venedig.

Direktor von Pinaults Privatmuseen ist Martin Bethenod. Er war bis 2010 Ko-Direktor der Pariser Kunstmesse FIAC. Martin Bethenod hält Venedig für die richtige Standortentscheidung. "Warum Venedig? Weil Venedig zu einer Drehscheibe der zeitgenössischen Kunst geworden ist. Die gesamte Welt der zeitgenössischen Kunst kommt alle zwei Jahre zur Biennale. Und die Biennale dauert nicht nur einige Tage, sondern praktisch sechs Monate. Die teilnehmenden Künstler und die Kommissäre kommen lange vor der Eröffnung, um die Ausstellung vorzubereiten. So gut wie alle Sammler kommen. Venedig ist einer der wenigen Orte auf der ganzen Welt, an dem man sicher sein kann, dass man das Who is Who der zeitgenössischen Kunstszene trifft."

Private Kunsttempel

Durchschnittlich 1.000 Besucher täglich zählen Francois Pinaults Museen in Venedig. Beim Umbau beider Häuser setzte Pinault auf die Multiplikator-Wirkung, die sich bei der Zusammenarbeit mit einem Stararchitekten entfaltet. Pinault vertraute auf die minimalistische Handschrift des japanischen Pritzker-Preisträgers Tadao Ando. Ando hat die ursprünglichen Materialien, das Mauerwerk und die Holzbalken des einstigen Zollagers Punta della Dogana zum Vorschein gebracht und nur sehr reduziert mit dem von ihm bevorzugten Werkstoff Beton gearbeitet. Stylish und elegant sieht das alles aus - ein bisschen wie in einem zeitgeistiges Designhotel für VIPs. Den Eindruck kann man spätestens dann nicht mehr abstreifen, wenn man Pinaults Museumswärter sieht. Die machen mit ihren schwarzen Anzügen und Minifunkgeräten im Ohr nämlich eher den Eindruck von Bodyguards.

Zum Auftakt der Biennale eröffnet auch Francois Pinault in seinen Häusern neue Ausstellungen. Eine Einladung zur Eröffnungsparty in Pinaults Kunsttempel ist heiß begehrt. In diesem Jahr begrüßte der Luxusgütermagnat Gäste wie Selma Hayek und Leonardo DiCaprio. Auch die Sammlung Francois Pinaults setzt auf große Namen. Bruce Nauman, Cindy Sherman, Paul Mc Carthy oder Damien Hirst - Kunstmarktkracher, die in den Ausstellungen oft ohne erkennbaren roten Faden präsentiert werden.

In der aktuellen Ausstellung "Prima materia", zu sehen in der Punta della Dogana, sind allerdings auch junge Positionen vertreten. Gleich im ersten Ausstellungsraum eine raumgreifende Installation von Ryan Trecartin und Lizzie Fitch, beide aus Los Angeles, beide um die 30. Die Künstler haben aus Materialien, die entfernt an ein Ikea-Jugendzimmer erinnern, eine düstere Wohnlandschaft gezimmert. Andos lichte Kunstkathedrale wurde durch das Duo in eine dumpfe Höhle verwandelt. Dazu ein Video mit Anklängen an die Spektakelkultur von Game- und Reality-Shows. Schrill, laut und unheimlich.

Kuratorin Caroline Bourgeois: "Wir leben in einer globalisierten Welt. Wenn man sich aktuelle Medienberichte anschaut, kann man das Gefühl bekommen, dass wir in einer Welt vor der Apokalypse leben. Man liest von Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, Kriegen. Bei unserer letzten Ausstellung wirkte der Eingangsbereich wie eine Kathedrale. Wir zeigten Skulpturen von Donald Judd. Jetzt haben Lizzie Fitch und Ryan Trecartin eine geschlossene, dunkle Höhle daraus gemacht. Wir haben die Architektur nicht verändert, aber es wirkt so. Erst im Kontrast zu vorher fällt vielen Besuchern auf, was Ando hier geleistet hat", sagt Caroline Bourgeois, Kuratorin der Ausstellung "Prima materia", die aktuell in der Punta della Dogana zu sehen ist.

Kunst aus L. A.

Francois Pinaults Präsenz in Venedig hat eine Sogwirkung entfaltet: Seit 2011 hat die Fondazione Prada, die Kunststiftung der Modedesignerin Miuccia Prada, ebenfalls einen Palazzo am Canal Grande bezogen. Für die aktuelle Ausstellung konnte ein prominentes Dreigestirn gewonnen werden: Neben dem Italiener Germano Celant kuratierten Stararchitekt Rem Kolhaas und der deutsche Künstler Thomas Demand die viel beachtete Schau "When Attitude Becomes Form". Eine Art "reenactment" der gleichnamigen legendären Ausstellung, die Harald Szeemann 1969 in der Kunsthalle Bern kuratiert hat. Zu sehen waren damals die großen Erneuerer der Kunst Joseph Beuys, Walter de Maria und Joseph Kosuth.

So umstritten das Konzept auch sein mag, eine historische Ausstellung quasi nachzubauen, so sehr traf die Ausstellung den Publikumsgeschmack. Viele Besucher nahmen stundenlange Wartezeiten auf sich, um die Schau zu sehen. Und eines steht fest: Die Fondazione Prada hat einen deutlichen Akzent in Venedigs Ausstellungslandschaft gesetzt.

Die Ausstellung "Prima Materia" in der Punta della Dogana ist bis 31. Dezember 2014 zu sehen. Die Ausstellung "When Attitude Becomes Form" in der Fondazione Prada in Venedig noch bis zum 3. November 2013.