Gottes Krieger
"Tatsachen gibt es nicht", so Nietzsche, "nur Interpretationen." Wenn diese Einsicht des deutschen Meisterrelativisten auf eine Wissenschaft zutrifft, dann auf die Geschichtswissenschaft, die sich noch so intensiv um eine vorurteilsfreie Beschreibung historischer Ereignisse bemühen mag - letztlich liegen historiographischen Erzählungen immer ausgesprochene oder unausgesprochene Werturteile und ideologische Voreingenommenheiten zugrunde.
8. April 2017, 21:58
Zu den ideologisch am heftigsten umfehdeten Ereignissen des europäischen Mittelalters gehören die Kreuzzüge, mit denen die lateinische Christenheit ab 1096 Jerusalem und andere heilige Stätten von "muslimischer Fremdherrschaft" befreien wollte. Zweihundert Jahre lang dauerten die blutigen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Heeren, ehe die Europäer nach dem Fall der Kreuzfahrerfestung Akko 1291 das Feld endgültig räumen mussten.
Die frommen christlichen Krieger, die unter dem Schlachtruf "Gott will es" das heilige Land kolonisierten und auf ihrem Weg gen Jerusalem Zehntausenden, wenn nicht Hunderttausenden den Tod brachten, diese Gotteskrieger haben heute nicht mehr den besten Ruf. Sie gelten als fanatisierte Fundis, die fremden Völkerschaften mit Feuer und Schwert den einzig wahren, den christlichen Glauben aufdrängen wollten. Und hier setzt der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark mit seiner Kritik an:
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Nach vorherrschender Auffassung waren die Kreuzzüge ein Werkzeug des expansionistischen, imperialistischen Christentums, das Territorien eines toleranten und friedlichen Islam brutal unterwerfen, ausplündern und kolonisieren wollte. So war es nicht. Die Kreuzzüge wurden, wie wir sehen werden, durch islamische Provokationen ausgelöst: durch jahrhundertelange blutige Versuche, das Abendland zu kolonisieren, und immer wieder durch Überfälle auf christliche Pilger und heilige Stätten.
Ehrenrettung der Kreuzritter
32 Jahre lang hat Rodney Stark an der University of Washington gelehrt, 2004 wechselte er an die Baylor-University in Waco/Texas, eine private, eng mit der Baptistenkirche verbundene Hochschule. Der 79-jährige Autor macht kein Hehl daraus, dass er sein Buch als Ehrenrettung der Kreuzritter versteht. Es könne keine Rede davon sein, dass die christlichen Recken aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich, Italien und Skandinavien die Territorien im heiligen Land kolonisieren und ausbeuten wollten, meint Stark.
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Die meisten nahmen trotz der immensen persönlichen Kosten am Kreuzzug teil, manche riskierten wissentlich ihren finanziellen Ruin. Außerdem waren die Königreiche, die die Kreuzfahrer im Laufe von zweihundert Jahren im Heiligen Land errichteten, keine Kolonien, die sich durch Steuern und Tribute aus der Umgebung am Leben erhielten, vielmehr blieben sie, so lange sie bestanden, auf enorme Zuschüsse aus Europa angewiesen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Rodney Starks Geschichte der Kreuzzüge ist kein plumpes Pamphlet, keine revisionistische Kampfschrift, die es politisch korrekten Christentum-Kritikern einmal so richtig hineinsagt. Nein, der Tonfall des Buchs ist sachlich, die Darstellung der insgesamt sieben Kreuzzüge anschaulich und gut verständlich - Stark ist kein Missionar, kein Propagandist der christlichen Rechten in den USA, die am liebsten eine direkte Linie von Richard Löwenherz zu George Bush dem Jüngeren und seinen desaströs gescheiterten Kreuzzügen ziehen würde, das nicht, dazu ist Stark zu intelligent, aber die Identifikation mit den Kreuzfahrern ist in jeder Zeile seines Buchs zumindest unterschwellig spürbar.
Kein "edler" Sultan Saladin
Gar nicht gefällt Rodney Stark das hohe Prestige, das Richard Löwenherz' großer Gegenspieler, der Ayyubiden-Sultan Saladin bis heute auch im Westen genießt. Schon im europäischen Mittelalter galt Saladin als weiser, ritterlicher Held, als Urbild des "edlen muslimischen Herrschers". Jahrhunderte später, in seinem "Nathan", verklärte auch Gotthold Ephraim Lessing den edlen Saladin zum milden Humanisten-Sultan.
"Die Bewunderung für Saladin ist nicht neu", mäkelt Rodney Stark, und weiter:
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Seit der Aufklärung wurde Saladin auf bizarre Weise dargestellt als eine "rationale und kultivierte Figur im Gegensatz zu den leichtgläubigen, barbarischen Kreuzfahrern".
Das gefällt Professor Stark so gar nicht. Er bringt in seinem Kreuzfahrer-Buch drastische Retuschen an am Bild des makellosen Sultans:
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Saladin verhielt sich keineswegs immer ritterlich. Nach der Schlacht von Hattin beispielsweise tat er persönlich mit, als einige gefangene Templer und Johanniter abgeschlachtet wurden, dann zog er sich zurück und beobachtete die Hinrichtung der anderen Christen. "Er befahl", so berichtet sein Sekretär Imad ed-Din, "er befahl, die Christen zu enthaupten, weil er sie lieber tot als in Gefangenschaft haben wollte. Mit ihm war eine ganze Gruppe von Gelehrten und Sufis und frommen Männern und Asketen, und alle baten, einen von den Christen töten zu dürfen, sie zogen ihr Schwert und schoben ihre Ärmel auf. Saladin saß erfreut auf seinem Podium, und den Christen stand das blanke Entsetzen im Gesicht.
Mit dem Buch Aufsehen erregt
Rodney Starks Rehabilitation der Kreuzfahrer hat einige Wellen geschlagen im Feuilleton, sowohl im deutschen, als auch im österreichischen. Das kann man nachvollziehen: eine Apologie der Kreuzritter hat etwas entschieden Anachronistisches, zumal im säkularen Westeuropa. Insofern ist es kein Wunder, dass Stark mit seinem Buch ein gewisses Aufsehen erregt.
Eines freilich sollte man bedenken, während man sich durch dieses - immer wieder hochinteressante Werk - schmökert: Auch wenn Rodney Stark sich als enragierter Ideologiekritiker gebärdet, sein eigenes Buch ist alles andere als ideologiefrei.
Service
Rodney Stark, "Gottes Krieger - Die Kreuzzüge in neuem Licht", aus dem Englischen übersetzt von Klaus Binder und Bernd Leineweber, Haffmans & Tolkemitt