Henning Beck über Mythen der Kreativität

Biologie des Geistesblitzes

An Büchern über Kreativität herrscht kein Mangel. Ganze Regale von Ratgebern sollen uns helfen, den Gedanken freien Lauf und die Ideen sprudeln zu lassen. Doch ganz so einfach lässt er sich nicht einfangen, der Geistesblitz. Auf gut 200 Seiten gibt Henning Beck einen Einblick in den neuesten Stand der Gehirnforschung.

Das Gehirn gilt als die Krone der Schöpfung – die perfekte Rechenmaschine, präziser und leistungsfähiger als jeder Computer. Doch das ist Quatsch, wenn es nach dem Neurobiologen Henning Beck geht.

Und doch geschieht das Wunder: Aus dem Tohuwabohu an elektrischen und chemischen Impulsen entsteht eine geniale Idee. Wie das möglich ist, zeigt Henning Beck in seinem Buch "Biologie des Geistesblitzes". Doch bevor es ans Eingemachte geht, müssen erst einmal die Grundlagen geklärt werden. Und weil das Gehirn zu den komplexesten Strukturen in der Natur gehört, braucht das eine ganze Weile. Über 140 Seiten gibt Beck einen Crashkurs in seinem Fachgebiet, der Neurobiologie. Da erfahren wir alles über die verschiedenen Teile des Gehirns, von A wie Amygdala bis Z wie Zwischenhirn. Wir lernen, wie Nervenzellen aufgebaut sind und wie sie über Synapsen miteinander in Verbindung stehen. Doch Nervenzellen alleine machen noch kein Gehirn – es braucht auch Helferzellen, die die Neurone mit Nährstoffen versorgen, sie von der Außenwelt abschirmen oder Alarm schlagen, wenn Krankheitserreger im Anmarsch sind.

Das menschliche Problem der Nervenzellen

Henning Beck erschlägt die Leser fast mit Fakten und Fachbegriffen, trotzdem bringt er es fertig, dass "Biologie des Geistesblitzes" eine kurzweilige Lektüre bleibt. Kein Wunder, denn Beck ist nicht nur Doktor der Neurobiologie, er wurde 2012 auch deutscher Meister in einer Disziplin namens "Science Slam". Dabei halten Wissenschaftler Vorträge von maximal zehn Minuten, und am Ende entscheidet das Publikum, welcher der unterhaltsamste war.

Beck hat schon mehr als 15 solcher Bewerbe gewonnen, und "Biologie des Geistesblitzes" ist ein Kondensat seiner Science-Slam-Auftritte – ein wissenschaftlicher Vortrag, der sich als Buch verkleidet. Das zeigt sich am Schreibstil von Beck, der nahe am gesprochenen Wort liegt. Und auch den einen oder anderen Kalauer kann er sich nicht verkneifen, etwa, wenn er beschreibt, wie Nervenzellen eine Beziehung mit besonderen Helferzellen eingehen, den Oligodendrozyten, denn die Nervenzelle hat laut Beck ein sehr menschliches Problem:

Muster finden Muster

So haarsträubend manche Vergleiche sein mögen, sie bleiben im Gedächtnis und bereiten die Leser auf das große Finale vor: die Klärung der Frage, wie ein Geistesblitz entsteht. Wird ein kreatives Problem bewusst, wandert es in die verschiedensten Hirnregionen, die dezentral daran arbeiten und das Problem mit bestehenden Gedankenmustern abgleichen. Dabei bilden sich neue Muster, die gesammelt und bewertet werden. Das alles passiert unbewusst, und gerade in Momenten, wo wir am wenigsten daran denken - beim Einkaufen oder unter der Dusche - gelangt ein neues Muster ins Bewusstsein - wir haben einen Geistesblitz. Das funktioniert, gerade weil das Gehirn alles andere als die perfekte Rechenmaschine ist.

Am Ende wird klar: "Die Kreativität" gibt es nicht. Und auch kein bestimmtes Kreativitätszentrum im Gehirn. Auch wenn es immer wieder heißt, die rechte Hirnhälfte sei für kreatives Denken zuständig – in Wahrheit brauchen wir immer beide Hälften. Und auch der alte Spruch, wir würden nur zehn Prozent unseres Denkvermögens nutzen, entpuppt sich als Mythos. Egal, worüber wir brüten – das Gehirn arbeitet immer mit voller Auslastung. Doch es darf und soll auch Fehler machen, denn nur so können die Gedanken ihre gewohnten Bahnen verlassen.

"Biologie des Geistesblitzes" ist kein einfacher Ratgeber, um in wenigen Schritten kreativ zu werden. Ein stilistisches Meisterwerk ist es auch nicht unbedingt, doch wer ganz genau wissen will, welche Wunder sich da täglich zwischen unseren Ohren abspielen, für den hat Henning Beck leicht verständliche und vor allem unterhaltsame Antworten parat.

Service

Henning Beck, "Biologie des Geistesblitzes. Speed up your mind!", Springer Spektrum