Sozialprogramm "El Sistema"

Im laufenden Festspielsommer residiert das Projekt "El Sistema", das fast 400.000 Kindern in Venezuela kostenlosen Zugang zu musikalischer Ausbildung ermöglicht. Bei den Festspielen ist "El Sistema" mit seinem Spitzenorchester, dem Simón Bolívar Symphony Orchestra, und fünf weiteren Ensembles zu Gast, es gibt Konzerte und Ausstellungen. Und auch das österreichische Ablegerprojekt namens "superar", hat sich vergangene Woche in Salzburg präsentiert.

Eröffnung Salzburger Festspiele 2013, El Sistema

(c) NEUMAYR, APA

Kulturjournal, 29.07.2013

Hunderte Musiker standen auf dem Podium des Großen Festspielhauses, als vergangenen Mittwoch Gustav Mahlers Achte Symphonie auf dem Programm stand, aufgrund ihrer gigantischen Besetzung mit Orchester, vier Chören und acht Solisten auch Symphonie der Tausend genannt. Am Dirigentenpult stand der große Star von „El Sistema“, Gustavo Dudamel; neben seinem Simón Bolívar Symphony Orchestra waren auch zwanzig junge Chorsänger des österreichischen Projekts „superar“ in das Geschehen eingebunden.

Es war der bombastische Auftakt einer Residenz, mit der sich „El Sistema“ heuer bei den Salzburger Festspielen präsentiert. Hinter dem Namen „El Sistema“ steckt eine musikpädagogische Bewegung, die in den fast 40 Jahren ihres Bestehens so etwas wie ein nationales Kulturgut Venezuelas geworden ist, das seit den Anfangsjahren vom Staat umfassend finanziert wird. Gründervater von „El Sistema“ ist der Musiker und Ökonom José Antonio Abreu, der in seinem Heimatland ungeheure Popularität genießt.
"Wir haben mit 'El Sistema' nichts Neues erfunden", sagt Abreu. "Wir haben keine besonderen Methoden entwickelt, Kindern Musik beizubringen. Neu war allerdings unsere Auffassung über die Dynamik, die mit dem Erlernen eines Instruments oder der Entwicklung der Singstimme einhergeht: Denn wer zu musizieren lernt, bildet nicht nur künstlerische Fähigkeiten aus, sondern auch gesellschaftliche und soziale. In der Musik lernen die Kinder, zusammenzuwirken."

Abreus Vision ist also mehr eine gesellschaftspolitische als eine künstlerische: Musik zu machen, stärke das Selbstbewusstsein, aber auch die Disziplin, erziehe junge Menschen zu mündigen Staatsbürgern und trage so letztlich zur Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft bei. Diese Idee hat Abreu auch vergangenen Freitag in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele umfassend dargelegt. Als junger Mann sah er die grassierende Armut und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in der venezolanischen Hauptstadt Caracas; 1975 schritt er zur Tat und setzte erste Orchesterproben an. Heute überzieht ein Netzwerk von Musikschulen, sogenannten „Núcleos“, das Land.

"Mit internationaler Unterstützung realisieren wir derzeit zwei große Bauprojekte in Venezuela: Ein neues Konservatorium in Caracas, das auf dem neuesten technischen Stand sein wird, und einen großen Konzertsaal im Bundesstaat Lara, der 2016 fertig sein soll und nach Gustavo Dudamel benannt wird. Außerdem entstehen weitere Musikhochschulen nach dem Modell in Caracas.", so Abreus.

Mit vier Orchestern und zwei Chören ist „El Sistema“ heuer bei den Salzburger Festspielen vertreten - für einige der Musiker ist es wohl die erste Auslandsreise, doch sie werden gut abgeschirmt und nicht medienwirksam in die Auslage gestellt. Neben den Konzerten kommt es auch zum Austausch mit Projekten, die nach dem Vorbild von „El Sistema“ Kindern und Jugendlichen eine kostenlose Musikausbildung anbieten. Ein solches gibt es seit 2010 auch in Österreich: Es nennt sich „superar“, was aus dem Spanischen übersetzt etwa „hinaufstreben“ heißt. „Superar“ bildet junge Menschen im Chorgesang und seit kurzem auch als Orchestermusiker aus. Initiatoren des Projekt waren das Wiener Konzerthaus, die Wiener Sängerknaben und die Caritas Wien. Deren ehemaliger Geschäftsführer Werner Binnenstein-Bachstein ist Vorstandsvorsitzender des Vereins.

Etwa 1000 Kinder betreut „superar“ derzeit, davon kommen 600 aus Wiener Volksschulen. Im bosnischen Srebrenica hat der Verein eine Musikschule übernommen und ist auch in Rumänien und der Türkei tätig. In der alten Ankerbrot-Fabrik in Wien-Favoriten, einem Bezirk mit hohem Immigrantenanteil, baut „superar“ gerade ein offenes Kulturzentrum; ab 2014 sollen Kinder hier Gesangs-, Tanz- und Orchesterunterricht erhalten. Anders als in Venezuela finanziert die öffentliche Hand nur einen kleineren Teil des Projekts, den Großteil übernehmen private Sponsoren. In Salzburg begegneten die Schüler und Lehrerinnen von „superar“ nun ihren venezolanischen Kollegen; am Wochenende traf man sich zum großen Chorfest im Hangar-7 des Salzburger Flughafens.