Markus Gabriel denkt nach
Warum es die Welt nicht gibt
Als Markus Gabriel mit 29 an den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie an der Universität Bonn berufen wurde, war er der jüngste Philosophieprofessor Deutschlands. Jetzt hat der mittlerweile 33-Jährige ein Buch vorgelegt, das vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und das Parlando der hinlänglich bekannten Talkshow- und Gastkommentarmonopolisten seiner Zunft ziemlich altbacken aussehen lässt.
8. April 2017, 21:58
Nicht weniger als das Vorhandensein der Welt stellt Gabriel in Abrede und postuliert gleichzeitig, dass es dafür "alles andere" gebe - Haarausfall, Toilettenspülungen und Einhörner auf dem Mond inklusive. Aber damit nicht genug: Gabriel will mit seiner Streitschrift gar ein neues Zeitalter eingeläutet haben, das er den "Neuen Realismus" nennt.
Zitat
Der Neue Realismus beschreibt eine philosophische Haltung, die das Zeitalter nach der sogenannten "Postmoderne" kennzeichnen soll, das ich, streng autobiografisch gesprochen, im Sommer 2011 - genau genommen am 23. 6. 2011, gegen 13:30 Uhr - bei einem Mittagessen in Neapel zusammen mit dem italienischen Philosophen Maurizio Ferraris eingeläutet habe. Der Neue Realismus ist also zunächst einmal nichts weiter als der Name für das Zeitalter nach der Postmoderne. Die Postmoderne war der Versuch, radikal von vorne anzufangen, nachdem alle großen Heilsversprechen der Menschheit, von den Religionen über die moderne Wissenschaft bis hin zu den allzu radikalen politischen Ideen des linken und rechten Totalitarismus, gescheitert waren. Die Postmoderne wollte den Bruch mit der Tradition vollziehen und uns von der Illusion befreien, es gebe einen Sinn des Lebens, nach dem wir alle streben sollten. Um uns von dieser Illusion zu befreien, hat sie allerdings nur neue Illusionen erzeugt - insbesondere die, dass wir in unseren Illusionen gleichsam feststecken. Die Postmoderne wollte uns weismachen, die Menschheit leide seit der Prähistorie unter einer gigantischen kollektiven Halluzination, der Metaphysik.
Absage an das "Weltbild"
Wiewohl es dem philosophischen Shootingstar vom Rhein um alles andere als um Erlösung gehen mag, tritt er mit dem Versprechen an, uns von jedweden philosophisch begründeten Leidensformen zu befreien, indem er so gut wie allen tradierten Vorstellungen über "die Welt" - und somit auch jeder Art von "Weltbild" - eine klare Absage erteilt.
Für Gabriel ging mit der Postmoderne keineswegs die Überwindung der Metaphysik einher, vielmehr sieht er in ihr die Fortschreibung derselben mit den Mitteln einer sehr allgemeinen Form des Konstruktivismus. Wie allgemein der Begriff Konstruktivismus hier gemeint ist, wird spätestens dann deutlich, wenn Immanuel Kant als dessen "wichtigster Gewährsmann" ins Spiel gebracht wird und auf keinen zwei Buchseiten der Weg von Kant über Kleist und den Spielfilm "Magnolia" nach Sorrent zu einer gedankenlesenden Smartphone-App führt, um schließlich wieder dort anzukommen, worum es dem Autor eigentlich geht:
Zitat
Sowohl die Metaphysik als auch der Konstruktivismus scheitern an einer unbegründeten Vereinfachung der Wirklichkeit, indem sie die Wirklichkeit entweder einseitig als die Welt ohne Zuschauer oder ebenso einseitig als die Welt der Zuschauer verstehen. Die Welt, die ich kenne, ist aber immer eine Welt mit Zuschauer, in der Tatsachen, die sich nicht für mich interessieren, zusammen mit meinen Interessen und Wahrnehmungen, Empfindungen und so weiter, bestehen. Die Welt ist weder ausschließlich die Welt ohne Zuschauer noch ausschließlich die Welt der Zuschauer. Dies ist der Neue Realismus. Der alte Realismus, sprich die Metaphysik, interessierte sich nur für die Welt ohne Zuschauer, während der Konstruktivismus recht narzisstisch die Welt und alles, was der Fall ist, auf unsere Einbildungen gründete. Beide Theorien führen zu nichts.
Knietief in der Philosophie
Gabriels "Neuer Realismus" führt zunächst zu einer Neudefinition des Begriffs Ontologie, die er nicht als spezielle Metaphysik verstanden wissen will, also nicht als die Frage nach der Welt - die gibt es ja nicht -, sondern danach, was unter "Existenz" überhaupt zu verstehen sei. Der entscheidende Kunstgriff liegt dabei in der Einführung des Begriffs "Sinnfelder", die Gabriel als "ontologische Grundeinheiten" verstanden wissen will.
Im Zuge der philosophischen Bewirtschaftung dieser Sinnfelder, deren unendliche Addition wohlgemerkt nicht zu so etwas wie einem "Weltganzen" führt, lernen wir nicht bloß, dass die Existenz eines Nashorns, das in der Wiese steht, durch sein Stehen in der Wiese unstrittig ist (und nicht etwa durch so etwas wie ein "Nashorn an sich"), sondern erfahren en passant jede Menge darüber, welche Fragen die Philosophie von jeher an- und umtreiben.
Das Sympathische an Gabriels Ausführungen ist - neben dem überaus kurzweiligen und konzisen Stil -, dass es ihm trotz dieser halsbrecherisch anmutenden Fahrt durch ein paar Tausend Jahre Philosophiegeschichte in bemerkenswert souveräner Manier gelingt, den Wagen in der Spur zu halten und auch in den kühnsten Passagen nicht auf die Pointe abzuzielen, sondern, um es mit dem Autor zu sagen, "knietief in der Philosophie" zu stecken.
Erst im Nachspann driftet Gabriel streckenweise in jenen nonchalanten Plauderton ab, dessen Abwesenheit man auf den ersten 240 Seiten so wohltuend empfunden hat. Das ist ein bisschen schade, aber mehr auch nicht. Wie wenig Gabriels Thesen bei aller Radikalität einem Eklektizismus geschuldet sind, zeigt auch der Umstand, dass das Buch nicht nur seit Wochen in den vorderen Rängen der Sachbuch-Bestsellerlisten zu finden ist, sondern auch in den philosophischen Fachkreisen weit über Deutschland hinaus breit rezipiert wird - und über wie viele philosophische Schriften deutscher Provenienz der letzten Jahrzehnte lässt sich das schon sagen!?
Text: Josef Bichler
Service
Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt", Ullstein
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