"Zur Lage der Nation"

Gesundheit: So machen es die Niederlande

Die Niederlande haben das Gesundheitssystem in mehreren Schritten reformiert. Zuletzt wurden auch die Krankenkassen zusammengelegt. Herzstück der Reformen sind aber die Hausärzte. Vorbildcharakter für Reformen in anderen Ländern?

Mittagsjournal, 13.8.2013

Hausarzt als "Torhüter"

Die niederländischen Hausärzte sind nicht nur die ersten Ansprechpartner, sie sind es auch, die entscheiden, ob ein Patient ins Spital muss oder nicht. Das spart Geld, schränkt aber die Wahlmöglichkeiten stark ein. Und trotzdem beschreiben Niederländer ihr Gesundheitssystem als eines der effizientesten und fortschrittlichsten der Welt.

Aart de Geus, einst holländischer Arbeitsminister, jetzt Chef der Bertelsmannstiftung, erzählt vom Hausarzt, ohne den nichts geht in Holland. Erst wenn der Hausarzt nicht mehr helfen kann, schickt er den Patienten weiter, ins Krankenhaus oder zur Therapie. Dieses "Gatekeeping" spare viel Geld, Steuergeld, sagt der niederländische Gesundheitsexperte Chris van Weel bei einem Vortrag vor Medizinstudenten der Hochschule Hannover: "Je mehr Allgemeinmedizin es gibt, umso niedriger sind die Kosten und umso höher ist der Gesundheitszustand der Menschen. Krankheiten werden früher diagnostiziert, deshalb steigt die Lebenserwartung, und es gibt weniger plötzliche Todesfälle -alles Merkmale einer primären Grundversorgung außerhalb von Spitälern."

Kosten sinken

Das Prinzip der Grundversorgung hat eine lange Tradition und gilt unter Fachleuten als effizient und gleichzeitig gesundheitsfördernd. Krankheiten werden damit so früh wie möglich abgefangen, bevor es richtig unangenehm für den Patienten und teuer für den Steuerzahler wird. David Evans von der Weltgesundheitsorganisation WHO: "Dort wo es Torhüter, also Gatekeeper gibt, funktionieren sie auch. Kosten sinken, statt in die Höhe zu schnellen."

Patienten bleiben auch Irrwanderungen durch Hausarzt, Facharzt und Spitäler erspart. Auch Blut- und Harnproben werden nur einmal abgenommen und untersucht. Das gilt auch für Röntgenbilder oder Befundeinsicht. Alles bleibt in einer Hand: "Ja, es stimmt. Prävention, Aktionen und Grundversorgung- das spart Geld. Wenn Menschen mit dem Rauchen aufhören oder abspecken macht sich das im Gesundheitswesen nach zehn, 20 oder 30 Jahren durch sinkende Kosten bemerkbar."

Weniger Wahlfreiheit

Aber weder Patienten noch Ärzte haben viel Freiraum, weist UNO-Experte David Evans auf die Kehrseite der Medaille hin: "Es ist ein Tauschgeschäft. Kostensenkung versus Wahlfreiheit. In Österreich etwa haben Sie freie Arztwahl und können direkt ins Spital gehen."

Denn in Holland müssen sich Patienten für einen Arzt entscheiden. Ein Wechsel ist später nur mehr mit Zustimmung der Krankenkasse möglich. Pro eingetragenem Patient erhält der Hausarzt eine Pauschale, dazu kommt eine Prämie für jeden Arztbesuch. Auch die Medikamentenkosten werden so kontrolliert; sie liegen in den Niederlanden deutlich unter dem EU-Schnitt: "Medikamente sind ein entscheidender Kostentreiber. Sehr viele Länder versuchen das in den Griff zu bekommen."

Eins zu eins lässt sich das holländische Modell nicht kopieren, warnt Professor van Weel. Denn in Holland wurden erst vor wenigen Jahren die Krankenkassen zusammengelegt, die Finanzierung dadurch sehr vereinfacht: "Holland hat sich für ein Wettbewerbsmodell entschieden, keine staatlichen Krankenkassen. Private Eigentümer verlangen schlanke Strukturen. Sparen wird zur Pflicht."

Für das Hausarztmodell gibt es aber genügend Interessenten. Österreich testet ab Herbst, wie sehr Hausärzte die teuren Spitäler entlasten könnten.