Erzählungen von August Strindberg

Bis ans offene Meer

Mit folgenden Worten beschreibt der schwedische Schriftsteller August Strindberg in seinem autobiografischen Roman den Moment, als er das erste Mal das Schärenmeer sah - eine Meereslandschaft, in der sich über 24.000 felsige Inseln entlang der Küste vor Stockholm auffächern.

Die Schären nehmen in Strindbergs umfangreichem literarischen Werk - das nicht nur aus seinen weltberühmten Dramen, sondern auch aus Romanen und Erzählungen besteht - einen besonderen Platz ein. Die beiden Romane "Die Hemsöer" und "Am offenen Meer", sowie die Erzählsammlung "Das Leben der Schärenleute" entstanden in den Jahren von 1887 bis 1890.

Identifikation mit dem Schärenmeer

Jene "Meeresprosa", wie der Verlag sie betitelt, wurde nun von der deutschen Strindberg-Expertin Angelika Gundlach neu übersetzt und in einer dreibändigen, kommentierten Ausgabe zusammengeführt. Über Strindbergs Liebe zum Schärenmeer spricht die Übersetzerin im Interview:

"Ja, das Schärenmeer war eigentlich die Landschaft, mit der er sich identifiziert hat. Also Strindberg hat schon sehr früh angefangen, über die Schären zu schreiben. Die Romane und Novellen, mit denen wir es hier zu tun haben, sind nicht die ersten Bücher, in denen das Schärenmeer thematisiert wird. Die Schären sind eigentlich in vielen Hauptwerken Strindbergs präsent. Er hat seine Beziehung zu den Schären immer als seine erste Liebe bezeichnet (lacht) und so war das wohl auch. Also war das wirklich eine Liebe, die ein Leben lang gehalten hat, im Gegensatz zu den Ehen."

Strindbergs gescheiterte Ehen - drei an der Zahl - waren nur ein Detail in einem von Extremen geprägten Leben zwischen Depressionen und Sinnkrisen, das er nicht nur als Autor, sondern auch als Illustrator, Wissenschaftler, Fotograf und Maler führte. Seine gesellschaftskritische Literatur verstörte und provozierte seine Zeitgenossen. In seiner Heimat legte er sich mit dem Königshaus, der Akademie und einflussreichen Personen des öffentlichen Lebens an; wegen Gotteslästerung angeklagt, musste er sein Werk sogar vor Gericht verantworten.

Humoriger Roman "Die Hemsöer"

Zuvor, im Jahr 1883, sah sich Strindberg gezwungen mit seiner ersten Frau, der Schauspielerin Siri von Essen, für sechs Jahre Schweden zu verlassen, da ein satirisches Werk in der Heimat zu heftigen Anfeindungen geführt hatte. Das Ehepaar führte ein unstetes Leben an wechselnden Orten in Europa. Der 1887 geschriebene Roman "Die Hemsöer" entstand daher in Deutschland - zu einer Zeit, in der der ruhelose Länderwechsel und der zunehmend labile Geisteszustand des Autors immer mehr die Beziehung zu seiner ersten Frau belastete.

"Seine Ehe krachte zusammen, also das kann man wahrscheinlich wirklich so nennen", meint Angelika Gundlach. "Er war zu dieser Zeit verheiratet mit seiner ersten Frau, Siri von Essen, das Paar hatte sich 1875 kennengelernt und Siri von Essen und Strindberg bekamen ab 1879 drei Kinder. Und zum Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe waren diese drei Kinder schon da. Und Strindberg lebte, als er 'Die Hemsöer' schrieb, in Deutschland, also am Bodensee. Es war eine sehr dramatische Zeit bis hin zu Schlägereien. Also es ist im Grunde relativ erstaunlich, dass er in dieser Zeit einen relativ lustigen, volkstümlichen Roman schreiben konnte, auch wenn der Roman natürlich nicht nur lustig ist."

"Die Hemsöer" wurde trotz dieser Umstände wohl zu Strindbergs heiterstem Werk. Im Roman wird erzählt, wie der Festlandbewohner Carlsson auf die Insel Hemsö kommt, um der Witwe Madam Flod zu helfen, den vernachlässigten Hof wieder instand zu setzen. Dies führt aber zur Verstimmung beim Sohn der Witwe, der am liebsten draußen am Meer fischt oder jagt und keinerlei Interesse für die Landwirtschaft hegt. Carlsson macht sich zwar im Laufe der Zeit immer unentbehrlicher für den Hof - den Umstand aber, dass er eine "Landratte" ist, wird er in den Augen der Inselbewohner trotz seiner Bemühungen nie wettmachen können:

Die Figuren im Roman "Die Hemsöer" haben konkrete Vorbilder in der Wirklichkeit. Strindberg nutzte die Bewohner der Insel Kymmendö, wo er mehrfach seine Studentenferien verbracht hatte, als Vorlage. Der reale Witwensohn namens Albert Berg erkannte sich und seine Wut auf den Knecht vom Festland, der schließlich die eigene Mutter heiraten sollte, nur zu gut im Roman wieder und zeigte sich mitsamt seiner Familie vom Erscheinen der "Hemsöer" alles andere als begeistert. Dem berühmten Sommergast wurde prompt Besuchsverbot erteilt.

"Noch heute wird Besuchern auf Kymmendö ein lilafarbenes Service gezeigt, das Strindberg gehört haben soll, und den Gemüsegarten, den er angelegt hat, den kriegt man da auch vorgeführt", so Angelika Gundlach. "Und als dann im Dezember 1887 'Die Hemsöer' erschien, haben sich - also das muss hauptsächlich der Sohn gewesen sein - also der besagte Albert Berg, geschworen, Strindberg nicht mehr zu empfangen. Nachher, jetzt, wo Publikum kommt und sozusagen Eintrittskarten kauft, sind die Nachfahren dieser Familie doch ganz begeistert, dass es dieses Buch über sie gibt, aber damals war da nichts zu wollen."

Isolierte Schärenbewohner

Die mit federleichtem Humor und äußerst flüssig geschriebenen "Hemsöer" sollte Strindbergs erfolgreichstes Buch in Schweden werden. In nur fünf Wochen hatte der Autor es geschrieben; vor allem bezweckte er damit, Geld in die leere Kasse zu bringen.

"Er meinte, er müsste diese Dinge schreiben, um Geld zu verdienen, damit er dann moderne Dramatik schreiben kann, die ihm eigentlich kein Mensch abnimmt, das heißt, die er, wie er selbst sagte, verschenken muss", sagt Angelika Gundlach. "Das betrifft aber in erster Linie diese Phase, in der so etwas wie eine neue schwedische oder skandinavische Dramatik entstand, also mit den Stücken 'Fräulein Julie' und 'Der Gläubiger', das waren ja Einakter, die die Form des Dramas revolutioniert haben. Das war Strindberg sehr wichtig, dass er das machen konnte, er hat nur kein Geld dafür bekommen. Also die Stücke wurden damals nicht aufgeführt, wie zum Beispiel 'Fräulein Julie', es wurde von der Zensur untersagt und es gab nur eine einzige Privatvorstellung, und von sowas konnte man natürlich nicht leben."

Die gesammelten Erzählungen im Band "Das Leben der Schärenleute" waren eine Art Nachfolger zum großen Erfolg der "Hemsöer". Strindberg beschreibt in mehreren Geschichten die Schärenbewohner als selbstständige Menschen, die isoliert auf ihren Inseln hausen und deren Leben sich vor allem draußen auf dem Meer abspielt. Im Vorwort zur Erzählsammlung charakterisiert der Autor diesen Menschenschlag:

"Wenn man sich zum Beispiel die Personage anguckt in 'Das Leben der Schärenleute': Strindberg hat in einigen Texten hier Erzählfäden angelegt, die er dann später weiterverfolgt hat", so Angelika Gundlach. "Da gibt es zum Beispiel die Erzählung 'Ein Verbrecher', auch vielleicht ein typischer Schärenbewohner, aber einer der nach der Kriminalpsychologie des Italieners Cesare Lombroso eingeteilt wird. Diese Thematik hat Strindberg dann später in anderen Texten verfolgt."

Die Erwähnung des Kriminologen Lombroso, der die Auffassung vertrat, dass Verbrecher biologisch determiniert sind, zeigt schon, welche Richtung das folgende Werk Strindbergs nehmen sollte.

Vom "Halbschatten" dieser Welt

Während er in den "Hemsöern" "das Lichte, Freundliche im Leben der Schärenleute" beschrieb, widmete er sich in den Erzählungen den "Halbschatten" dieser Welt, wie er selbst konstatierte, um schließlich in einem weiteren Schärenroman deren "Schlagschatten" wiederzugeben. "Am offenen Meer" lautet der Titel dieses düsteren Werks, das nichts mehr vom humorvollen Ton der "Hemsöer" besitzt und das Strindberg von 1889 bis 1890 schrieb:

Der Fischereiinspektor und Wissenschaftler Axel Borg wird auf eine abgelegene Schäreninsel versetzt, um die dortige Fischerei zu modernisieren. In der Abgeschiedenheit begegnet man dem Neuankömmling mit Misstrauen; Borg wiederum legt eine elitäre Haltung gegenüber den Inselbewohnern an den Tag, die von ihm als "Ureinwohner" und "fischfressende Säugetiere" wahrgenommen werden. Er distanziert sich zusehends von der Bevölkerung, die ihm bösartig und tückisch erscheint. Die Strategie des Protagonisten Borg, sich auf diese Weise von der Inselbevölkerung abzuheben, entstammt einer selbsterzieherischen Maßnahme, dem Streben, ein besserer Mensch zu sein:

Unschwer ist der große Einfluss, den Friedrich Nietzsche auf Strindberg hatte, erkennbar. Der Fischereiintendent übt sich im Übermenschentum, entlarvt das Christentum als Religion der Schwachen und setzt auf systematische, positivistische Wissenschaft. Ein gedankliches Experiment des Autors, an dem er seine Figur existentiell scheitern lässt.

"'Am offenen Meer', dieser wohl größte Roman, auf den Strindberg sehr lange stolz war, war a) das Ergebnisse seiner Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem deutschen Philosophen Nietzsche und andererseits sein Versuch, sich am Thema Übermensch abzuarbeiten", sagt Angelika Gundlach. "Es ist eine dieser Positionen, die er erprobt. Dieser Fischereiintendent Axel Borg - dieser Name weist übrigens darauf hin, dass es sich um ein Alter Ego von Strindberg handelt, denn wenn er sich selbst in seinen Texten proträtiert, heißen die Figuren immer Axel - probiert sich eigentlich als Übermensch und folgt den Theorien Nietzsches, was also eigentlich zwangsläufig zur Folge hat, dass er das Christentum kritisiert. Und wenn ich sage, Strindberg erprobt das, dann kann man das eigentlich daran sehen, dass er sich an einem Thema abarbeitet, es ausprobiert und dann ist es weg. 'Am offenen Meer' war in Schweden am Anfang relativ erfolglos, es wurde stark kritisiert, besonders der Einfluss von Nietzsche, der in Schweden nicht sehr beliebt war. Es gab eine ganze Reihe von Verrissen, allerdings auch sehr positive Besprechungen, die Strindbergs Naturschilderungen in diesem Roman loben und zum Teil sagen, es sei über die schwedische Natur und die Tierwelt das größte, das in schwedischer Sprache geschrieben worden ist."

Kein Frauenhasser

Nicht nur Misanthropie und Hass auf das Christentum wurde Strindberg von den Kritikern des Romans vorgeworfen: Die feindliche Haltung, die der Protagonist gegenüber Frauen einnimmt, sorgte schon bei der zeitgenössischen Kritik für Erregung, sah jener doch die Frauen auf einer Zwischenstufe oberhalb des Kindes und unterhalb des Erwachsenen stehen.

Dass das Stigma des "Frauenhassers" dem Autor heute noch anhaftet, bedauert Angelika Gundlach:

"Man muss sagen, dass nach der Trennung von Siri, also das Trennungsjahr begann zwei Monate nach dem Erscheinen von 'Am offenen Meer', dass Strindbergs Einstellung Frauen gegenüber aufgrund dieser Auseinandersetzungen mit seiner Frau Siri zu diesem Zeitpunkt nicht besonders positiv war. Allerdings würde ich davor warnen, wenn man sich da einen interessanten Autor verbaut, also wenn man Strindberg in erster Linie als Frauenhasser sieht. Dieser eigentlich typisch deutsche Standpunkt: Mir ist kein anderes Land bekannt, wo Strindberg als Frauenhasser gilt. Man sollte versuchen, sich das aus dem Kopf zu schlagen, weil dann kann man einen tollen, lustigen, klugen, weisen Autor entdecken."

Kurze Zeit nach dem Erscheinen von "Am offenen Meer" endete auch die Ehe mit Siri von Essen, was Strindberg in eine von vielen Sinn- und Schaffenskrisen stürzte. Die Schären aber blieben ein bedeutender Teil von Strindbergs Werk - ein Werk, das wie kaum ein anderes von dem Kampf mit sich selbst durchdrungen und wahrscheinlich genau deshalb so provokant, aber auch kühn und poetisch ist. In den drei Bänden der vorliegenden Schärenprosa darf man sich vom Facettenreichtum eines unabhängigen Autors überzeugen - von den lichten Seiten, wie auch den Halb- und Schlagschatten.

Service

August Strindberg, "Bis ans offene Meer", aus dem Schwedischen übersetzt von Angelika Gundlach, Mare Verlag