Goethe - Kunstwerk des Lebens
So heißt Rüdiger Safranskis 750-Seiten-Monographie über Johann Wolfgang Goethe, die soeben erschienen ist.
8. April 2017, 21:58

EPA/GAMBARINI
Kulturjournal, 26.08.2013
Imogena Doderer
Johann Wolfgang Goethe - allein schon die Nennung dieses Namens jagt bildungsbeflissenen Studienräten und hartgesottenen Klassik-Fans Ehrfurchtsschauer über den Rücken. Bis heute gilt der aus Frankfurt gebürtige Kaufmannssohn als Titan klassischer Kultiviertheit. Johann Wolfgang Goethe - so lautet Rüdiger Safranskis These - war nicht nur als Schriftsteller ein Epochen-Genie, er war auch ein "Meister des Lebens", der Dichter, der sich auch als Naturforscher verstand, hat sein Leben zum Kunstwerk stilisiert.
"Wenn man jetzt sagt 'Das Kunstwerk des Lebens', darf man sich nicht vorstellen, dass hier immer Harmonie herrscht, dass das eine widerstandslose, fast kitschige Gelungenheit ist", sagt Safranski. "Nein, nein, Goethe hat auch viel kämpfen müssen mit äußeren Herausforderungen, aber auch mit inneren Herausforderungen, mit inneren Abgründen, er war auch ein Mensch, der, wie viele, seine Depressionen hatte, auch Zweifel an sich selbst, er hatte auch Beziehungen mit den Menschen, er hatte auch eine gewisse Scheu sich einzulassen, er hatte auch die Neigung, sich abzuschließen. Goethe ist nicht einfach ein Glückskind. Manchmal kam er sich vor wie der Liebling der Götter, aber manchmal fühlte er sich auch ziemlich tief unten. Und dieses Gefühl des Tief-Unten-Fühlens, das hat er dann auch in eine seiner berühmtesten Figuren - in den Mephisto - hineinprojiziert."
Rüdiger Safranski zeichnet Johann Wolfgang Goethe in seiner Biografie als heiteren Apolliniker, der auch um die dunkleren Seiten seiner Persönlichkeit wusste. Beide Aspekte seines Charakters - den hellen und den dunkleren - hat Goethe in einem eindrucksvollen Sublimationsakt literarisch gestaltet: "Mephisto und Faust nennen wir in einem Atemzug. Mit Recht: Es sind nämlich zwei Aspekte einer Person", meint Safranski. "Wenn wir fragen: Wer verbirgt sich hinter Mephisto, dann kommen wir natürlich sehr schnell darauf, dass es die Schattenseite Goethes selbst ist, die da eine Realisierung gefunden hat."
Hochbegabt, aber kein Wunderkind
Auf kenntnisreiche und unerhört fesselnde Weise zeichnet Rüdiger Safranski den wechselvollen Lebensweg des Frankfurter Götterlieblings nach, von der durchaus nicht unproblematischen Geburt - Johann Wolfgang wäre infolge einer Unaufmerksamkeit der Hebamme beinahe von der Nabelschnur stranguliert worden -, bis zum gar nicht so sanften Tod des Olympiers in seinem Haus in Weimar. Ein Wunderkind wie Mozart, so Safranski, sei der hochbegabte Goethe nie gewesen:
"Der junge Goethe hat den jungen Mozart erlebt und war davon überzeugt: Das ist ein Wunderkind. Mozart spielte auf verdeckten Tasten Klavier, das muss unglaublich gewesen sein. Eigentlich eine Zirkusnummer. Und Goethe war klar: So ein Wunderkind ist er nie gewesen. Und wenn man sich die Dokumente ansieht, dann ist das auch so. Er war zweifellos hochbegabt, und er hat schon sehr früh angefangen, Gedichte zu machen, aber das war in einem ganz konventionellen Stil, das war so spieluhrmäßig, da funktionierte alles, aber es war Literatur aus Literatur. Goethe war hochbegabt, aber Wunderkind eher nicht. Doch dann, so zwischen sechzehn und achtzehn, da geht der Knoten auf einmal auf, und Goethe entdeckt, dass er Goethe ist. Und von diesem Zeitpunkt an bricht das literarische Genie in ihm durch."
Der Dichter ist 25, als er mit dem Werther einen in der deutschen Literatur bis dahin nie gesehenen Erfolg feiert. Goethe - jung, schön, begabt - wird zum Popstar des "Sturm und Drang". Den Anbetungs-Exzessen seiner Fans entzieht sich der Dichter durch Flucht nach Weimar. Kunst und Leben, betont Rüdiger Safranski, waren und sind im Falle Goethes nicht sauber zu trennen: "Es gibt sogar Momente, wo man das Gefühl hat, dass Goethe bestimmte Lebenssituationen suchte, um dann darüber schreiben zu können. Also nicht nur: Man erlebt was und schreibt dann darüber, sondern man sucht sich auch bestimmte Lebenssituationen aus, um darüber schreiben zu können."
Turbulentes Liebesleben
Das gilt nicht nur für die "Italienische Reise", das gilt auch für die amourösen Verwicklungen, in die sich der Dichter immer wieder rückhaltlos stürzt. Wie die Goethe-Biografen vor ihm kommt auch Rüdiger Safranksi in seinem Buch um die zahllosen Amouren und Affären des Weimarer Dichterfürsten nicht herum.
"Was für mich auffällig ist an seinen Frauengeschichten ist, dass er eine sehr pfiffige Weise hat, diese Verliebtheiten zu haben, aber vor Konsequenzen zurückzuscheuen", so Safranski. "Und immer in dem Moment, wo es möglicherweise ganz dicht werden könnte, da ist er dann ausgerissen. Er wollte ein Fisch sein, der nicht zu greifen ist, er wollte immer wegglitschen. Er suchte auch da nicht die ultimative Verwirklichung, sondern er suchte auch da den Genuss des Gefühls. So beschreibt er das ja nachher auch im 'Werther'. Er war gewissermaßen ins Verlieben verliebt. Und dann natürlich auch in die Frau. Aber fast noch mehr ins Verlieben."
Das ändert sich erst durch die Begegnung Goethes mit seiner späteren Gattin, sagt Safranski: "So richtig ließ er sich dann ein auf Christiane Vulpius, und da wollte er das dann auch. Da war er nun soweit, dass er sagte, so, jetzt brauche ich eine Frau, die wirklich, vor allem auch im Erotischen, seinen Alltag begleitet. Das war eine sehr gute, lebenssatte Beziehung. Und das war auch eine rundum verwirklichte Beziehung."
Rüdiger Safranski hat eine profunde Biografie vorgelegt, wie von ihm nicht anders zu erwarten, ein akribisch recherchiertes und süffig zu lesendes Werk, das die Ergebnisse der jüngeren Goethe-Forschung reflektiert und unaufdringlich referiert. Dass man sich von Goethe einiges abschauen kann, auch in Sachen Lebenskunst, daran lässt Safranski keinen Zweifel: "So jemand wie Goethe macht Lust auf das Leben, das man selber führt."
Service
Rüdiger Safranski, "Goethe - Kunstwerk des Lebens", Hanser Verlag