Neu von Daniel Kehlmann: "F"

"F" heißt eines der Higlights des heurigen Bücherherbstes - der neue, mit Spannung erwartete Roman von Daniel Kehlmann, der heute in die österreichischen Buchhandlungen kommt. "F" steht für "Fatum", aber auch für den Nachnamen "Friedland", denn um drei Brüder namens Friedland geht es in Kehlmanns Roman, alle drei Lügner, Schwindler und virtuose Hochstapler.

Die ganze Welt ist Krise. Daniel Kehlmanns Roman spielt an einem höllisch heißen Augusttag des Jahres 2008, zumindest zum überwiegenden Teil, am Vorabend des großen Crashs also, der die neoliberale Zockerparty der 1990er und 2000er Jahre mit einem Schlag beendet hat. Dass ein Hegdefonds-Manager am Rande des Nervenzusammenbruchs eine prominente Rolle spielt in "F", ist da nur folgerichtig. Sieht Kehlmann seinen Roman - nicht nur, aber auch - als Kommentar zur aktuellen Wirtschaftskrise?

"Ja, ein bisschen", sagt Daniel Kehlmann. "'Kommentar' würde ich allerdings nicht sagen. Die Krise kommt vor, sie spielt eine gewisse Rolle, aber ich glaube nicht an Romane als Kommentare, ich glaube nicht, dass Romane sich zu aktuellen Ereignissen äußern oder Theorien dazu formulieren sollten. Aber wenn ein Roman in der Gegenwart spielt, dann spielen Dinge, die so in der Welt passiert sind, natürlich auch eine Rolle in dem Buch. Und die Krise spielt eine Rolle, aber das Wort 'Kommentar' gefällt mir nicht."

Philosophische Fragen

"F" - das steht für "Fatum", wie der Roman auf einer der letzten Seiten verrät. Auf spielerische Weise werden in diesem ebenso leichtfüßigen wie komplexen Buch anspruchsvolle philosophische Fragen verhandelt: die Frage nach der Differenz von Lüge und Wahrheit etwa, aber auch der ontologische Kontroversenhit "Schicksalsdeterminismus versus Freier Wille".

"F", das lässt sich aber auch, prosaischer, als Abkürzung für "Friedland" lesen, denn die Angehörigen der Familie Friedland stellen die zentralen Protagonisten des Kehlmannschen Romans. Da ist zum einen Papa Friedland, Arthur, ein erfolgloser Schriftsteller, der zu Beginn des Buchs - im Jahr 1984 - zusammen mit seinen Söhnen Martin, Eric und Iwan die Sonntagsnachmittagsvorstellung eines Show-Hypnotiseurs besucht. Dieser Hypnotiseur - der "Große Lindemann" genannt - bittet Vater Arthur auf die Bühne und bewegt ihn als mit allen Wassern der Suggestionskunst gewaschener Manipulator dazu, sein Leben grundlegend zu ändern. Was Arthur auch prompt tut. Er lässt Frau und Kinder im Stich und setzt sich mit den Barmitteln des geplünderten Familienkontos ins Ausland ab. Dort wird der Amateur-Schreiber zum gefeierten Schriftsteller-Star, dessen Roman "Mein Name sei Niemand" zum internationalen Bestseller avanciert.

Romantik mit Ironie gepaart

Man darf Daniel Kehlmanns Buch natürlich nicht als platte realistische Geschichte lesen. Durch den Text irrlichtern romantische Motive sonder Zahl, ironisch gebrochen und mit hintergründiger Komik aufgeladen: Da treibt nicht nur der Suggestionskünstler Lindemann - ein später Nachfahr des berühmten Magnetiseurs Friedrich Anton Mesmer, sein Wesen, auch Doppelgänger und bizarre Gespenster treten auf, sogar der Leibhaftige humpelt bocksbeinig und zahnlückig immer wieder durch die Szenerie. Dem Schrifttum der deutschen Romantik verdanke er eine ganze Menge, bekennt Kehlmann:

"Als ich diesen Hypnotiseur erfunden habe, den "Großen Lindemann", da habe ich an E. T. A. Hoffmann gedacht. Nicht in dem Sinn, dass ich dachte, ich will jetzt eine E.-T.-A.-Hoffmann-Figur erfinden, sondern eher so, dass dieser Hypnotiseur als Figur zu mir kam, und ich dann sehr schnell gedacht hab: Das ist jetzt ein bisschen eine Hoffmann-Figur, aber warum nicht? Es gibt diese Gothic-Ebene, wie es im Englischen heißt, also, so eine gewisse Schauerromantik in diesem Buch. Es gibt Gespenster, die immer wieder auftreten, es gibt eine Sequenz, wo Eric, ganz normal aus seinem Büro kommend, im Keller seines Hauses ein Geräusch zu hören meint. Er steigt in den Keller hinab, und der Keller ist mit einem Mal plötzlich unendlich, es gibt immer mehr Türen und immer mehr Treppen, die hinunter führen, und er steigt in immer unheimlichere Gewölbe hinunter - und plötzlich sitzt er wieder am Esstisch, und als Leser weiß man nicht, was es eigentlich mit dieser Szene auf sich hat. Das sind, wenn man so will, romantische Motive. Ich bekenne mich gern dazu. Vielleicht ist das altmodisch, aber die Romantik prägt uns ja alle sehr."

Kein Gott für den Priester

Im Zentrum des Romangeschehens stehen die drei vaterlos aufgewachsenen Söhne Arthur Friedlands, Martin, Eric und Iwan. Jeder ist auf seine Weise ein Schwindler, Lügner, Hochstapler. Der fettleibige Pfarrer Martin zum Beispiel: ein erstklassiger Priester, hochintelligent, sozial sensibel, aber: Er glaubt nicht an Gott.

Der fress- und rubikwürfelsüchtige Priester Martin ist vielleicht noch der harmlosere unter den Tarnern und Täuschern der Familie Friedland. Sein homosexueller Bruder Iwan tritt als Kunstfälscher auf: Er freundet sich mit dem greisen Maler Heinrich Eulenböck an, macht den bis dato Unbekannten zum Star und verwaltet nach dem Tod des Gefährten dessen Erbe, indem er Original-Eulenböcks in unbegrenzter Zahl produziert.

Und dann gibt's noch den betrügerischen Anlageberater Eric Friedland, der bedenkenlos die Millionen seiner Klienten verjubelt.

Der durchgeknallte Anlageberater

Mit dem Eric-Kapitel gelingt Daniel Kehlmann ein erzählerisches Bravourstück. Wie der Autor den Alltag des defraudantischen Hedgefonds-Managers zeichnet - einen hysterisierten, vollkommen durchgeknallten, sich ins Psychotische hinein beschleunigenden Alltag - das hat man so noch nicht gelesen. Ein fulminantes Stück Prosa, witzig, herzzerreißend und abgrundtief böse. Dabei mag Kehlmann die Figur des von ihm geschaffenen Anlageberaters, wie er behauptet:

"Mir steht er auch merkwürdig nahe. Er ist ja eigentlich ein schrecklicher Mensch, und er geht allen auf die Nerven, die um ihn sind, und er macht ja auch unverzeihliche Dinge, und trotzdem kann man so etwas nicht schreiben, ohne ihn zu mögen. Also, mir hat er immer sehr Leid getan, und ich habe ihn auch sehr ins Herz geschlossen. Auch wenn das merkwürdig klingen mag, wenn man das Buch so liest."

Daniel Kehlmanns Roman - sein bisher stärkster, wie man sagen muss - funktioniert auf mehreren Ebenen, auf der Plot-Ebene genauso wie in den metafiktionalen Tiefenschichten. Letzten Endes ist "F" wohl auch ein Roman über die Lüge - in allen ihren Emanationen.

"Ja, auf jeden Fall", meint Daniel Kehlmann. "Es ist aber auch ein Roman darüber, wie komplex und selbstwidersprüchlich das ganze Thema 'Lüge' eigentlich ist. Einerseits stimmt das alles: Das sind alles Lügner, andererseits, obwohl das stimmt, kann man's auch sofort wieder in Frage stellen. Man kann natürlich sagen: Iwan ist ein Fälscher. Er malt Bilder eines anderen berühmten Künstlers und signiert sie mit dessen Unterschrift. Aber diesen anderen berühmten Künstler hat im Wesentlichen er 'erfunden'. Es gibt kein großes Werk von diesem Künstler, Eulenböck, der sein Lebensgefährte war, das nicht Iwan selber gemalt hätte. Also, wen fälscht er da im Grund eigentlich? Er fälscht nicht jemandes Werk, er fälscht eher jemandes Erscheinung als Künstler. Er fälscht eine ganze Künstlerperson, aber ob ihn das wirklich zu einem Kunstfälscher im klassischen Sinn macht? Also, ich wollte wirklich eine Konstellation erfinden, wo die ganze Frage von Fälschung und Authentizität immer merkwürdiger und immer paradoxer wird."

Das ist Daniel Kehlmann eindrucksvoll gelungen. "F" ist ein ironischer Familienroman voller Witz und Esprit, ein Buch, bei dem auch die Freundinnen und Freunde avancierterer Literatur-Konzeptionen auf ihre Kosten kommen. Intelligente Szenen, präzise Dialoge und intertextuelle Bezüge voller doppelbödigen Humors - Daniel Kehlmann war noch nie so gut wie heute.