Josefstadt: Bernhards "Vor dem Ruhestand"
In Wien haben die Theater und Opernhäuser nach der Sommerpause wieder aufgesperrt oder sie tun das demnächst. Im Theater in der Josefstadt ist die Eröffnungspremiere morgen Abend: Thomas Bernhards Stück "Vor dem Ruhestand". Es ist wohl jenes Stück, das sich am explizitesten mit dem Nationalsozialismus in Deutschland und seinem Weiterleben nach dem Krieg auseinandersetzt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 4.9.2013
Michael Mendl als Rudolf Höller
Der deutsche Film und Fernsehschauspieler Michael Mendl mimt den Gerichtspräsident Höller, der jedes Jahr gemeinsam mit seinen Schwestern am 7. Oktober Himmlers Geburtstag feiert. Die SS Uniform wird gebügelt, aber auch die KZ Jacke, die die gelähmte Schwester Clara anziehen muss. Der Sekt ist gekühlt, dann steigen die andere Schwester Vera und Rudolf miteinander ins Bett. Clara, gespielt von Sona MacDonald, träumt immer vor dem 7.Oktober von einer Vergewaltigung, Vera, dargestellt von Nicole Heesters, steht ihr bei, obwohl beide von einem tiefen Rivalitätsverhältnis bestimmt sind.
Affäre Filbinger
Rudolf Höller war in der Nazi-Zeit Lagerkommandant. Nach dem Krieg versteckte er sich, aber bald war er als Jurist wieder höchst angesehen, nun steht er kurz vor der Pension, dem Ruhestand. Thomas Bernhard reagierte mit „Vor dem Ruhestand" 1979 auf die sogenannte Äffäre Filbinger. Der baden-württembergische Ministerpräsident machte damals dem Stuttgarter Theaterdirektor Claus Peymann schwer zu schaffen, stolperte dann über die Aufdeckung seiner Machenschaften als Nazi-Marinerichter. In der Uraufführung des Stücks spielte der verstorbene Traugott Buhre, der den Höller dann - in Claus Peymanns letzter Saison am Burgtheater - auch nochmals in Wien gab. Im Theater in der Josefstadt hat nun der deutsche Regisseur Elmar Goerden inszeniert.
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Theater in der Josefstadt - Vor dem Ruhestand
"Operationen ohne Betäubung"
Goerden verfällt nicht in den Peymann Stil der Künstlichkeit, sondern zeigt, dass Bernhard Texte sich auch als feine psychologische Studien eignen. Er zeigt keine Monster, sondern Menschen und bestürzt damit vielleicht noch mehr. Denn Bernhard nannte „Vor dem Ruhestand“ im Untertitel "Eine Komödie von deutscher Seele". Bernhard lege mit einer mitleidlosen Art Wurzeln bloß, die für Genauigkeit sorge, meint Goerden. „Bei Bernhard sind es Operationen ohne Betäubung", so der Regisseur.
Marionetten der Widersprüchlichkeit
Wir sind eine Verschwörung heißt es immer wieder in Thomas Bernhards Stück. Verpanzert in ihrem Charakter sind die drei Geschwister Marionetten ihrer Widersprüchlichkeit. Für drei Bühnenstars wie Mendl, MacDonald und Nicole Heesters ein gefundenes Schauspieler-Fressen.