Gedankenlesen bei der Ars Electronica
Unter dem Titel "Total Recall - The Evolution of Memory" widmet sich das heute beginnende Ars Electronica Festival in Linz dem Gedächtnis. Ein zentraler Protagonist der Ars Electronica Symposien ist heuer der Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes. In seinen Forschungen kann er - zumindest bis zu einem gewissen Grad - allein auf Basis der Hirnaktivität einer Person bestimmen, was sie gerade denkt, fühlt oder gleich tun wird.
27. April 2017, 15:40
Kulturjournal, 05.09.2013
Gehörte Gedankenlesen bisher eher zum Repertoire von Zauberkünstlern und Science-Fiction-Autoren, scheinen die Gehirnforscher diesen in den letzten Jahren langsam den Rang abzulaufen. So etwa der britische Kognitions- und Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes. Am „Center for Advanced Neuroimaging“ der Berliner Charité versucht er seit Jahren, die Gedanken und Entscheidungen seiner Probanden mithilfe der funktionellen Kernspintomographie vorherzusagen.
Zahlreiche praktische Anwendungen wären mit Hilfe der gegenwärtig verfügbaren Technik bereits denkbar, da sie als einfache Fragestellungen formuliert werden können, bei denen man zwischen wenigen Alternativen wählen muss. So gibt es heute schon erste Ansätze, mit computergestützten Prothesen schwerstgelähmten Patienten das Leben zu erleichtern. Auf der anderen Seite stehen Entwicklungen für Lügendetektortests und kommerzielle Anwendungen wie das Auslesen einer Produktpräferenz zu Marketingzwecken oder das Messen einer gefühlsmäßigen Einstellung zu einem Unternehmen bei einem Jobkandidaten. Diese Beispiele weisen auf eine drängende Frage hin: Sollte man überhaupt Verfahren entwickeln, die Gedanken einer Person auslesen können? Wie in vielen Bereichen der Forschung steht man vor einem Dilemma, da mit dem Eindringen in die Gedankenwelt einer Person eine Grenze überschritten werde, die früher nicht überschritten wurde, wie John-Dylan Haynes festhält.
In Experimenten dringt John-Dylan Haynes sogar in die Sphäre des Unbewussten ein. Wird einem Probanden im Kernspintomographen ein Bild etwa nur 15 Millisekunden gezeigt, also zu kurz, um in das Bewusstsein der Testperson vorzudringen, waren die Wissenschaftler dennoch in der Lage, die Spuren dieses Bildes in den neuronalen Aktivierungsmustern abzulesen. In Zukunft möchte John-Dylan Haynes die weitere Verarbeitung dieser unbewussten Signale bis zu höheren kognitiven Ebenen verfolgen und so feststellen, an welchem Punkt das Bewusstsein auf den Plan tritt. Und doch hat er in seinen Forschungen ein ganz grundsätzliches Problem: Die Individualität der Menschen. Sie verhindert - zumindest zurzeit noch - dass unsere innersten Ansichten durch die universelle Gedankenlesemaschine nach außen gekehrt werden.
Service
Ars Electronica - Total Recall - The Evolution of Memory