Chilenische Literatur und Aufarbeitung der Diktatur
Vor 40 Jahren putschten sich in Chile die Militärs an die Macht. Es folgte die Diktatur unter Augusto Pinochet, die bis 1989 dauern sollte. Die jüngeren Generationen haben diese Zeit nicht bewusst oder gar nicht mehr erlebt und viele junge Schriftsteller präsentieren sich eher kosmopolitisch, schreiben Geschichten, die überall angesiedelt sein könnten. Doch andere schreiben weiter über diese Zeit, und das nachdenklicher als je zuvor.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal,
Jungfrau Maria, Hellseher und Pinochet
"Ich will nicht über Chile sprechen. Ich weiß nicht, was Chile ist", behauptet der 38-jährige Schriftsteller Álvaro Bisama, um dann doch über Chile und die Diktatur, die er als Kind erlebt hat, zu schreiben. Sein letzter Roman ist “Ruido” aus dem Jahr 2012. "Das ist ein sehr sonderbarer Roman über einen Hellseher, der die Jungfrau María in einem chilenischen Dorf trifft in Zeiten Pinochets. Es geht um das Leben des Hellsehers, wie er dann sein Geschlecht ändert und um die jungen Menschen, die in dieser Zeit aufwachsen und später Punkbands gründen", erzählt Bisama.
"Verurteilen ist immer leicht"
Der aktuellste Roman des 37-jährigen Schriftstellers Alejandro Zambra „Die Erfindung der Kindheit“ erzählt aus der Perspektive eines kleinen Jungen, wie er die Militärdiktatur in Chile wahrnimmt. Unbedarft lässt der Junge sich auf ein Detektivspiel ein, als ein Mädchen ihn aus der Nachbarschaft bittet, ihren Onkel zu beschatten. Später als Erwachsener fragt er sich im Roman, warum seine Eltern, die während der Diktatur weder Opfer noch Täter waren, sich nicht eingemischt haben und ihm eine heile Welt vorgaukelten. "In dem Roman wollte ich nicht verurteilen, denn verurteilen ist immer leicht. Meine Generation war sehr kritisch ihren Eltern gegenüber eingestellt", sagt Alejandro Zambra.
Kaum Euphorie
Auch die Schriftstellerin María José Viera-Gallo hat die Diktatur in Chile als junges Mädchen erlebt, bevor sie mit ihren Eltern ins Exil nach Spanien ging. "Bis ich 19 Jahre alt war, erlebte ich nur Diktatur. Dann kam die Demokratie und wir dachten, jetzt würde der schönste Sonnenaufgang unseres Lebens kommen", erinnert sich die Literatin. Doch vielleicht habe es eine zu große Hoffnung auf die Demokratie gegeben. "Ich glaube, die Diktatur war nicht in den 90ern vorbei. Die Leute waren nicht euphorisch, und meine Generation nicht so glücklich", sagt María José Viera-Gallo.
Geschichte aus dem Kopf bekommen
Auf diese Anfangsjahre der Demokratie zu Beginn der 1990er Jahre geht Álvaro Bisamas Roman “Die toten Sterne” ein. Schauplatz ist seine Geburtsstadt Valparaíso. Die Protagonisten irren völlig perspektivlos umher. Die Atmosphäre ist bedrückend, die Suche nach dem Glück bleibt erfolglos. "Ich hatte eigentlich gar nicht vor, über die 90er zu schreiben. Ich wollte einfach über eine Zeit sprechen, die ich erlebt hatte, aber mich nicht dafür verantwortlich fühlen. Es ging mir einfach nur darum, die Geschichte aus meinem Kopf zu bekommen", so Álvaro Bisama.
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