Dilemma um Psychopharmaka für Kinder

Nur rund 15 Prozent aller Psychopharmaka sind auch für Kinder und Jugendliche zugelassen. Rund 85 Prozent sind dafür nicht ausreichend ausgetestet. Und trotzdem werden manche auch Kindern verschrieben - weil es nötig und sinnvoll ist, sagen Psychiater bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Kindespsychiatrie in Wien.

Mittagsjournal, 12.9.2013

Oft bleibt keine andere Wahl

Es ist oft ein Dilemma für Ärzte, Eltern und Kinder. Häufig steht im Beipacktext, dass ein Mittel etwa gegen Depression, Schizophrenie oder eine Angststörung nicht zugelassen ist für Kinder und Jugendliche. Aber es nicht zu verabreichen, könnte eine Schädigung durch Unterlassung sein, beispielsweise bei Suizid-Gefahr - so sehen es zahlreiche Rechtsexperten und Psychiater. Und Christine Vesely, stellvertretende Leiterin der Kinderpsychiatrie am AKH Wien sagt: "Wir müssen in vielen Fällen sogar nicht zugelassene Medikamente verwenden, da die althergebrachten Medikamente zum Teil sehr viel höhere Nebenwirkungen haben und höhere Schäden hervorrufen als die jetzigen neueren Medikamente. Die Nebenwirkungen im Kindes- und im Erwachsenenalter unterscheiden sich nicht in der Art des Auftretens. Es kann sein, dass im Kindes- und Jugendbereich manche Nebenwirkungen schneller, etwas intensiver und öfter auftreten als im Erwachsenenbereich, aber es ist keine andere Art der Nebenwirkung".

Verständnis für Absetzen wichtig

Doch Eltern oder Jugendliche zu überzeugen, dass keine Nebenwirkungen, langfristige Auswirkungen oder gar Entzugserscheinungen drohen, ist oft schwer. Laut der Krankenschwester und Psychotherapeutin Nicola Maier-Kilga gilt allgemein bei Psychopharmaka: "Man weiß, dass 50 Prozent der Patienten nach dem stationären Aufenthalt die Medikamente absetzen ohne ärztliche Kontrolle". Das Absetzen kann problematisch sein, sollte aber akzeptiert werden, sagt Maier-Kilga sinngemäß: "Wenn man sich ein jugendliches Mädchen vorstellt, die ist 16 Jahre alt und nimmt in kurzer Zeit 10, 15 Kilo zu, dann glaube ich schon, dass das Mädchen sehr beeinflusst ist von den Nebenwirkungen und den Alltag ohne Medikamente als besser sieht."

Bei der Kinderpsychiatrie-Tagung dürfte es unterschiedliche Standpunkte geben. Im Foyer steht ein Infostand eines Pharmaunternehmens, das Sponsor ist. Und Psychotherapeutin Maier-Kilga hält einen Vortrag, dass man Patienten und Eltern einbinden und informieren, aber nicht überreden sollte. Und der Vorarlberger Kinderpsychiater Wolfgang Menz sagt: "Je größer der Leidensdruck ist, umso mehr sind die Eltern dann auch bereit, ein kleines Risiko einzugehen." Nur in ganz extremen Fällen solle sogar das Jugendamt einschreiten, sagt Menz, nämlich den Eltern die Obsorge entziehen, um dann die Zustimmung zu einer geradezu lebenswichtigen Medikation zu geben, so der Psychiater.