Mario Kessler über Ruth Fischer
Ein Leben mit und gegen Kommunisten
Revolution, Faschismus, ein heißer und ein kalter Krieg haben im 20. Jahrhundert Biografien ermöglicht, wie wir sie etwa aus der Renaissance kennen - auch für Frauen, und eine von ihnen war die Österreicherin Ruth Fischer, nicht zu verwechseln mit Ruth von Mayenburg, der ersten Frau Ernst Fischers. Mario Kessler hat eine umfangreiche Biografie über sie verfasst.
8. April 2017, 21:58
Die Eislers, Kinder des Philosophen Rudolf Eisler, waren für den Historiker Eric Hobsbawn "fast die Komintern-Familie par excellence". Auch wenn Ruth, eine Frau mit vielen Namen, der Komponist Hans und Gerhard, der Berufsrevolutionär, in den Wirren der Zeit auf verschiedenen Seiten standen.
Die 1895 geborene Ruth kam aus der linken Jugendbewegung des Austromarxismus. Die Auffassung, dass die Kompromissbereitschaft von Otto Bauer und Karl Renner 1918/19 die Chance der Weltrevolution verspielt hätte, wurde die Basis ihrer politischen Lebensmaxime. Wir finden sie unter den Gründern der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs - die begnadete Selbstverkäuferin sicherte sich dabei die prestigeträchtige Nummer 1.
Star der KPD
Die österreichische Bühne wurde ihr bald zu klein, sie zog nach Berlin und avancierte in der nach dem Tod Rosa Luxemburgs männerdominierten KP zu einem Star. Die zahlreichen Berichte über ihren Aufstieg, die Mario Kessler veröffentlicht, konzentrieren sich stark auf ihre Körperlichkeit und ihren nachdrücklichen rhetorischen Stil.
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Sie sprach mit so großem Ausdruck, dass sie nicht merkte, wie ihr Achselband von der Schulter rutschte. Fasziniert bestaunten die Genossen das Dekolleté der schönen Rednerin. Selbst als sie anfing, heiser zu werden, schwand die Begeisterung der Zuhörer nicht. Sie netzte ihren Kehlkopf mit Speichel; sie hatte etwas gegen die Entente gesagt, dabei ihre Stimme akrobatisch, sprunghaft vom Flüstern zum Brüllen geleitet. Donnernder Beifall belohnte sie am Schluss. Die junge Frau, die wie mit Posaunen sprach, aber keine revolutionären Erfahrungen oder Verdienste hatte, wurde von den Kommunisten in Berlin vergöttert.
Ihre simple Botschaft war die unversöhnliche Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft, die Aktualität der Revolution und damit der Kampf gegen die "Versöhnler" am rechten Flügel der KPD. Damit machte sie Karriere, zog in den deutschen Reichstag ein und wurde mit ihrem Lebensgefährten Arkadij Maslow 1924 für zwei Jahre de facto Führerin der KPD. Moskau hatte sie unterstützt und Moskau stürzte sie - es waren die Linksoppositionellen, die die später so beklagte "Stalinisierung" der KPD einleiteten.
Gefühl für Taktik und Intrige
Carl von Ossietzky hat Ruth Fischer Wissen und Rednergabe ebenso attestiert wie ein Gefühl für Taktik und Intrige, doch in summa hat er in ihr eine aus Sensationsgier in die Politik verlaufene Bürgerin gesehen:
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"Das Wichtigste blieb ihr immer versagt: die Wirkung ins Weite. Niemals hat sie überzeugen können, dass sie an ihrem Platz notwendig war. Die neue Rosa Luxemburg? Gewiss, sie konnte gelehrig wie ein Star das nachplappern, was ihr Meister Sinowjew für Leninismus ausgab. Aber es war immer nur dogmatisches Nachschwätzen von Dogmenkram. Es fehlte das Merkzeichen legitimierender Persönlichkeit."
Sicher: Ruth Fischer begriff Politik primär als Feindverhältnis und brillierte in der Rhetorik der "großen Linie". Doch hätte der im Konzentrationslager ermordete Ossietzky Fischers weiteren Lebensweg gekannt, dann hätte er sein Urteil wohl vorsichtiger formuliert.
Gegner der stalinistischen Politik
Nach einer zehnmonatigen Quasiinhaftierung im legendären Moskauer "Hotel Lux" und ihrem Parteiausschluss blieben Fischer und Maslow ruhelos-energische Oppositionelle gegen die stalinistische Politik und knüpften an einem globalen Netzwerk gegen den Stalinismus, in dem sich auch der früher kritisierte Leo Trotzki findet. Der Parteiausschluss war im Grunde ein persönlicher Glücksfall, denn ein allfälliges Exil in Moskau hätte sie wohl nicht überlebt.
Glück hatte sie auch bei der Emigration nach Frankreich und später in die USA. Kein Glück hatte ihr Lebensmensch Arkadij Maslow - nur Kuba nahm ihn auf und dort fand man im Oktober 1941 den Sterbenden auf einer Straße im Rotlichtdistrikt Havannas. Herzinfarkt oder ein politischer Mord, den die kubanische Polizei aus Gefälligkeit vertuscht hat? Das jedenfalls nahm die verzweifelte Ruth Fischer an und begann einen rasenden politischen Kampfes gegen die Kommunisten, gegen die amerikanische kommunistische Emigration und auch gegen die Brüder Hanns und Gerhard, den sie gar der Mitschuld an der Ermordung Maslows bezichtigte.
Als einflussreiche Publizistin ist sie eine der Erfinderinnen des "Kalten Krieges" und des Slogans von der "5.Kolonne": Lange vor den McCarthy-Ausschüssen denunzierte sie erfolgreich kommunistische Emigranten und deren liberale Hilfsorganisationen und schürte die Angst vor einer stalinistischen Verschwörung in den USA. Allerdings: ihr 1948 publiziertes Buch über "Stalin und den deutschen Kommunismus" kann man noch heute mit Gewinn lesen - auch wenn sie ihre eigene Rolle schönt.
Hoffnung auf Wandel
Das "Tauwetter" nach Stalins Tod hat sie wohl überbewertet, doch in ihrem letzten Exil in Paris entwickelte sich die zwischen Deutschland und Frankreich pendelnde zu einer vielgelesenen Analytikerin der Spannungen in der internationalen kommunistischen Bewegung - immer in der Hoffnung auf einen Wandel im Weltkommunismus. In seinem Nachruf 1961 hat es Sebastian Haffner für ihr Schicksal erklärt, "jeweils der Seite, mit der sie gerade verbunden war, ungewollt mehr Schaden zuzufügen, als der, die sie gerade bekämpfte".
Es ist schwer, über eine derart politisierte Existenz eine Biografie zu schreiben. Mario Kessler, Professor an der Universität Potsdam und gründlicher Kenner der Rolle von Intellektuellen in der deutschen Arbeiterbewegung, hat sich für eine präzise Rekonstruktion ihres politischen Umfelds entschieden. Als Person bleibt sie blass. Das liegt wohl auch am Materialmangel - die persönlichen Gründe der offenkundigen Exzentrik Ruth Fischers werden uns wohl immer verschlossen bleiben.
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Mario Kessler, "Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961)", Böhlau-Verlag