"Zeit-Ton" sammelt Protokolle des Zuhörens
Unerhörtes Hören
Wie hören Sie Neues in der Musik? Erzählen Sie uns vom Hören, schreiben Sie's auf, sprechen Sie es aus. Beschreiben Sie uns Ihre Radio-Hör-Erlebnisse mit dem Neuen! Wie bereiten Sie sich vor, welchen Platz, welche Position nehmen Sie ein?
27. April 2017, 15:40
Hören - zuhören - erhören
"Hören habe ich gelernt beim musikprotokoll", schreibt Museums-Intendant Peter Pakesch auf der Homepage des steirischen herbstes. "Das Mägdlein horchet; es rauscht im Baum, sehnend, wähnend", dichtet Julius Mosen. Das Horchen, das Hören hat mit Sehnen zu tun. Wer hört, erhört das Kommende, freut sich auf das Ungehörte. Wer "unerhört" nicht als Schimpfwort versteht, erkennt die Versäumnis. Das Hören kommt vor der Musik.
Claudio Abbado berichtete kürzlich in der "Zeit", wie die Magie des Hörens Ansporn für sein Dirigieren wurde. "Sie ereignet sich, sie ist etwas ganz Zartes, Fragiles. Man muss lernen, einander zuzuhören. Das Zuhören ist so wichtig. Im Leben wie in der Musik. Die Musik zeigt uns, dass Hören grundsätzlich wichtiger ist als Sagen. Das gilt für das Publikum genauso wie für die ausführenden Musiker."
Die Dichterin Theresia Oblasser hat sich jahrzehntelang von der unerhörten Neuen Musik des Komponistenforum Mittersill berühren lassen: "Mich sprach die Musik an, ihre Einfachheit, dass da kein Gedusel dabei ist, dass jeder Ton seine Bedeutung hat. Das Hören macht mich aufmerksam. Da ich die Musik überhaupt nicht kenne, fordert sie mich auf, gut zuzuhören. Ich kann nicht mit jedem Stück etwas anfangen, aber es sind immer Sachen dabei, die mich total bewegen und berühren. In den Tagen danach muss ich aufpassen, dass der Alltag nicht alles verschluckt, ich höre mir dann die Stücke immer wieder auf CD an.
"Ein Pulverfass entzünden"
"Ich höre", sagt mir Salzburg-Biennale-Intendantin Heike Hoffmann, "Alte Musik genauso wie Neue" - und ich höre skeptisch zu. Viele der Musik-Profis überrascht die Frage: "Wie hören Sie?". Sie hätten noch nicht nachgedacht, welche Empfangssituation sie der Neuen Musik bereiteten. "Ich weigere mich, Berge von CDs und MP3-Files zu hören, ich kann und will das nicht alles hören, ich würde mir meine Lust zu hören gründlich verderben", sagt der neue Klangspuren-Intendant Matthias Osterwold. Neue Musik hört er live.
András Varga, lange Zeit für ungarische und österreichische Musikverlage tätig, hört mit geschlossenen Augen, das erste Mal ohne Partitur, erst danach soll das Notenbild den Höreindruck ergänzen. Verständnis-Blockaden begegnet der Hörende mit der Bitte, dass die Komponierenden gemeinsam mit ihm ihre Musik hören.
Musik-Hören kann "ein Pulverfass entzünden". So erging es Witold Lutoslawski, als er John Cage hörte: "Komponisten dient Musik oft als Impuls für etwas ganz anderes - für die Kreation von Musik, die nur in ihrer Fantasie lebt. Es ist eine Art Schizophrenie - wir hören etwas und kreieren gleichzeitig etwas anderes. So ist es mit Cages 'Konzert für Klavier und Orchester' passiert. Während ich zuhörte, wurde mir plötzlich klar, dass ich Musik anders als in meiner Vergangenheit komponieren konnte. Dass ich in Richtung des Ganzen fortschreiten konnte, nicht aus dem kleinen Detail, sondern umgekehrt - ich könnte aus dem Chaos anfangen und Ordnung darin schaffen, allmählich."
Wie hören Sie?
Musik-Hören als Impuls, als Erkenntnis, als Aufgabe. Musik-Hören als Anregung, andere Dimensionen für sich zu erschließen. Wie und was fangen Sie mit der Neuen Musik an, was stört Sie, wie kommt das Neue bei Ihnen an, und wie am besten? Wir wollen alles wissen: Ob und wie das Hören von Neuer Musik im Radio Ihr Leben verändert!
"Zeit-Ton" eröffnet am 18. September ein Open-Innovation-Forum für "Unerhörtes Hören". Alles was Sie uns dazu schreiben, unter Angabe der Musikstücke, wird in "Zeit-Ton extended" am 20. Dezember zu hören sein.