Georg Biron über Peter Henisch

Literatur - ein Wespennest?

Ehrlich gesagt hab ich nie verstanden, warum das "Wespennest" Wespennest heißt, diese Literaturzeitschrift aus Wien ... große Worte, kleine Schrift, kein Geschäft ... wenn ich den Peter Henisch das nächste Mal treffe, dann wird er mir das erklären müssen ...

... weil er muss es ja wissen, er hat das "Wespennest" ja gegründet ... gemeinsam mit dem Helmut Zenker ... 1969 ... also auch nicht grad vorgestern. Ich vermute, der Titel war damals Ausdruck einer politischen Radikalität. Wild wollten sie sein ... die Buben ... und laut und gefährlich.

Die Wespen jedenfalls, die in Wespennestern leben und sich naturgemäß zur Wehr setzen, wenn ihre Behausung bedroht ist ... die haben mit Literatur oder mit Dichtern rein gar nichts zu tun. Wespen sind nämlich sehr sozial ... sehr nützlich ... ein wichtiger Bestandteil unseres Öko-Systems, und über welchen Dichter könnte man so etwas schon sagen?

Die meisten Wespenarten sind für Menschen übrigens absolut ungefährlich. Nur der Stich der "Gemeinen Wespe" ... wie schon der Name sagt ... und der "Deutschen Wespe" ... wie ebenfalls der Name sagt ... sind für uns sehr schmerzhaft ... und für Allergiker manchmal sogar tödlich.

Gibt's eigentlich Literatur-Allergiker? Also Menschen, die allein vom Anblick einer ganz gewöhnlichen Buchstabensuppe schon Atemnot kriegen und verschwollene Augen und sogar Pusteln am ganzen Körper? Ganz zu schweigen davon, was in denen vorgeht, wenn sie mit einem richtigen Buch in Kontakt kommen, in dem die Anordnung der Buchstaben einen Sinn ergibt, aber das ist ja nicht das Thema heute.

Der Peter Henisch jedenfalls ... der ist heute mein Thema. Auch deshalb, weil er schuld daran ist, dass ich als junger Dichter zu meiner ersten Veröffentlichung gekommen bin ... 1975 ... also auch nicht grad vorgestern. Damals war der Peter Henisch Redakteur bei der Literaturzeitschrift "Neue Wege" ... er hat dem Nachwuchs ... also mir ... eine Chance gegeben und hat dafür gesorgt, dass ein Gedicht von mir abgedruckt worden ist.

Und ich weiß auch noch ganz genau, dass ich damals sogar ein Honorar bekommen habe. Mein erstes Honorar: 23 Schilling für ein Gedicht. Wie gesagt: Das Dichten ist kein Geschäft. Ganz unter uns gesagt ... die ertragreichste Form von Literatur ... ist die Speisekarte. Weil: Bei jeder Zeile steht der Preis dabei.

Der Peter Henisch aber, der liest keine Speisekarten ... der hat schon als Kind lieber Karl May gelesen ... und später dann ... da war vielleicht sein Religionslehrer Adolf Holl auch ein bissel schuld ... später hat der Peter Henisch sehr oft in der Luther-Bibel gelesen, die seiner Ansicht nach das "Basismaterial der deutschen Sprache" ist. Auch Bert Brecht hat die Luther-Bibel geliebt, und der Philosoph Ernst Bloch ebenfalls, über den der Peter Henisch eine Dissertation geschrieben hat ... eine unvollendete. Und bei Bloch kann man nachlesen, dass "Die Sehnsucht die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen" ist.

Ja, es ist eine große Sehnsucht ... und somit auch eine nagende Ehrlichkeit ... in den Büchern von Peter Henisch zu entdecken. Der Dichter hat schon früh erkannt, dass die Literatur ein Spiel ist, das viele Möglichkeiten bietet, um die eigene Sehnsucht zum Ausdruck zu bringen.

Peter Henisch hat nichts von einer gefährlichen Wespe ... er lebt nicht in einem uniformierten Schwarm, sondern lieber für sich ... als passionierter Außenseiter ... mittendrin in den satten saftigen Farben und Gerüchen der Toskana ... wo er sich mit aufmerksamen Blicken in der Welt umschaut und Sätze findet wie diesen: "Die Geschichte könnte damit beginnen, dass Mortimer vom Himmel fällt. Ein Fallschirmspringer, der im Zentrum des Renaissancegartens landet."

Wer das neue Buch "Mortimer und Miss Molly" gelesen hat, der erkennt einmal mehr: Peter Henisch trägt eine große Sehnsucht nach Liebe in sich ... und er ist sanft und leise ... wie alle echten Radikalen.