Gezi-Park-Proteste: "Standing Man" in Wien
Der türkische Choreograf Erdem Gündüz ist bei den Protesten in Istanbul durch seine Stillstands-Performance "Standing Man" zu Weltruhm gekommen. Morgen Abend wird er im Wiener Tanzquartier über seine Performance berichten.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 24.9.2013
Stummes, regungsloses Mahnmal
Die Aktion war einfach aber dadurch umso eindringlicher. Da stand ein Mann in der Mitte des Taksim-Platzes und starrte, die Hände in den Hosentaschen, auf das Porträt von Staatsgründer Kemal Atatürk. „Mir ist es um seine Ideen und Prinzipien gegangen. Er hat sich für die Rechte der Frauen eingesetzt, für eine Trennung von Religion und Politik gesorgt und die Klassenschranken in der Bevölkerung aufgelöst und all diese Dinge vermisse ich heute“, erzählt der türkische Tänzer und Choreograf Erdem Gündüz. Die Aktion „Duran Adam“ oder „Standing Man“ des 34-jährigen verbreitete sich sofort über Twitter und hunderte Demonstranten schlossen sich noch in derselben Nacht dem stillen Protest an. Die Bilder der wie ein stummes Mahnmal dastehenden Menge gingen um die Welt. Erdem Gündüz: „Nach meiner Aktion `Duran Adam´ änderte sich die Form des Protests, die Brutalität der Polizei nahm aber zu, denn die Einsatzkräfte zielen jetzt mit ihren Tränengaswaffen direkt auf die Köpfe der Demonstranten.“ Erst Anfang September ist im südtürkischen Antakya ein 22-jähriger nach einem Tränengaseinsatz an Kopfverletzungen verstorben, die Polizei sprach jedoch von einem Sturz des jungen Mannes.
Verfolgung im Internet
In der Zwischenzeit gehen die Einschränkungen der gesellschaftlichen Freiheiten durch die konservative Erdogan-Regierung weiter. Der Verkauf von Alkohol ist nur mehr eingeschränkt möglich, regierungsfeindliche Karikaturen wurden konfisziert und jetzt, so erzählt Erdem Gündüz, versucht die Regierung auch im Internet verstärkt Kontrolle auszuüben: „Die Regierung drohte zuletzt damit, dass sie Protestaufrufe auf Twitter bestrafen würde, aber das lässt sich gar nicht durchführen. Sie hat jetzt allerdings eine 6.000 Mann starke Internet-Armee aufgestellt, die auf Social Media-Netzwerken falsche Nachrichten oder Provokationen verbreiten.“
"Jeder dort war sein eigener Anführer"
Internet-Plattformen wie Facebook oder Twitter scheinen wirklich der Kitt zu sein, der die Demonstranten zusammenhält. Organisationen, die den Versuch machen, die Kräfte der Unzufriedenen zu bündeln, scheint es nicht zu geben. Selbst der im Juni bei den Taksim-Platz-Demonstrationen tätige Dachverband „Taksim Solidarität“ machte keine derartigen Versuche. Erdem Gündüz: „Taksim Solidarität fasste einfach die Forderungen der Demonstranten in einer Liste zusammen und machte sie publik. Einfach, weil es am Taksim-Platz keinen Anführer gab. Die Menschen kamen unaufgefordert und jeder dort war sein eigener Anführer. Das machte es für die Regierung aber auch so schwierig gegen die Proteste vorzugehen, weil es keine Drahtzieher gab, die man ausschalten konnte.“
In Wien wird der „Standing Man“ Erdem Gündüz darüber sprechen, welche politische Sprengkraft künstlerische Performance besitzen kann. Morgen Abend um 18 Uhr im Tanzquartier Wien.