Alice Munro erhält Literaturnobelpreis 2013

Die 82-jährige Kanadierin Alice Munro erhält den Literaturnobelpreis 2013. In der Begründung der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften wird die Autorin als "Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte" bezeichnet.

Alice Munro war schon lange für den Literaturnobelpreis gehandelt worden. Sie hat von ihrer Auszeichnung nicht wie üblich von der Schwedischen Akademie erfahren, sondern von ihrer Tochter. Diese habe sie aufgeweckt und ihr die Neuigkeiten mitgeteilt, schreibt der kanadische Nachrichtenkanal CBC News auf seiner Homepage. Das Nobelpreis-Komitee hatte bereits auf Twitter mitgeteilt, dass die Neo-Laureatin das Telefon nicht abgehoben hatte: "Die Schwedische Akademie konnte Alice Munro nicht erreichen, hat eine Nachricht am Anrufbeantworter hinterlassen."

Munro erzählte CBC News, dass sie stets Chancen auf die Auszeichnung gesehen habe, allerdings mehr als "einen dieser Wunschträume, die in Erfüllung gehen könnten, aber es wahrscheinlich nie tun". Als es dann so weit war, hatte sie nicht damit gerechnet: "Es ist hier mitten in der Nacht und ich hatte natürlich völlig darauf vergessen."

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Nobelpreis

Meisterin der Kurzgeschichten

Die zierliche Alice Munro braucht nicht viel Platz, im Leben wie im Schreiben. An einem kleinen Sekretär in der Ecke ihres Wohnzimmers in der kanadischen Provinz Ontario entstanden bislang ihre Kurzgeschichten, selten länger als 30 Seiten. Einen einzigen Roman ("Kleine Aussichten") hat die 82-jährige Kanadierin in ihrem langen Schriftstellerinnenleben veröffentlicht. Ansonsten hat sich die jetzt mit dem Literaturnobelpreis gekrönte Königin der Kurzgeschichten streng an das Genre der kleinen Erzählungen gehalten, das sie nach Ansicht vieler Kritiker und Kollegen meistert wie kaum ein anderer Autor.

Schon lange wurde sie für den Nobelpreis gehandelt - inzwischen ist sie eigentlich schon gar keine aktive Schriftstellerin mehr. "Ich werde wahrscheinlich nicht mehr schreiben", hatte sie im Sommer einer kanadischen Zeitung erzählt. "Es ist nicht so, dass ich das Schreiben nicht geliebt habe, aber man kommt in eine Phase, wo man über sein Leben irgendwie anders denkt." Möglicherweise enttäuschten Fans hatte Munro damals geraten, ihre alten Bücher noch einmal zu lesen. "Es gibt so viele davon." Zuletzt war 2012 im englischen Original ihr Band "Dear Life" erschienen.

Fan Jonathan Franzen

Munro hat viele - auch prominente - Fans. "Dieses Buch ist so gut, dass ich hier gar nicht darüber sprechen will", schrieb der US-Schriftsteller Jonathan Franzen über ihren 2006 veröffentlichten Erzählband "Tricks". "Zitate oder eine Kurzzusammenfassung können dem Buch nicht gerecht werden. Man kann ihm nur gerecht werden, wenn man es liest. (...) Lest Munro! Lest Munro!"

Aber Kurzgeschichten seien ein mühsames Geschäft, klagt die Schriftstellerin, deren Werke in Kanada und Großbritannien längst Bestseller sind. "Die Literaturkritik betrachtet Kurzgeschichten noch immer als eine Art Übungsform für den Roman, als mindere Disziplin jedenfalls, und ich habe das selber lange geglaubt", sagte Munro, die den Literaturbetrieb - so gut es geht - meidet, in einem ihrer seltenen Interviews. "Was habe ich mich gequält bei Versuchen, einen Roman zu schreiben! Bis ich irgendwann realisiert habe, dass die Kurzgeschichte die mir gemäße Form des Schreibens ist."

Zeit zum Schreiben dem Alltag abgerungen

Munro war eine Spätstarterin. Ihren ersten Erzählband (deutscher Titel: "Tanz der seligen Geister") veröffentlichte sie 1968 mit fast 40 Jahren. Die Zeit zum Schreiben hatte die damalige Hausfrau und Mutter dem Alltag abgerungen, sich während des Kochens und während des Mittagsschlafs oder Schulbesuchs ihrer Kinder immer wieder an den kleinen Sekretär gesetzt. "Ich hatte schlicht zu wenig Zeit für das Schreiben, keine Zeit für große Würfe. Zur Kurzgeschichte fand ich also aus sehr praktischen Gründen."

Gleich ihr erster Band wurde preisgekrönt, und auch die zwölf bislang erschienenen weiteren Kurzgeschichten-Sammlungen wurden mit Lob und Preisen überschüttet.

Ihre Geschichten gleichen sich fast immer. Und immer sind sie nahe an Munros eigenem Leben. Es geht um Frauen - um Mütter und Töchter - im kanadischen Ontario, die erwachsen werden, sich verlieben und die schönen und tragischen Seiten des Lebens kennenlernen. "Aus diesem kleinen Strom füllt Munro seit 50 Jahren ihre Arbeit", schreibt Schriftsteller-Kollege Franzen. "Und genau diese Vertrautheit macht ihr Reifen als Künstlerin so atemberaubend sichtbar: Schaut, was sie mit nicht mehr als ihrer kleinen Geschichte ausrichten kann, je öfter sie zu ihrem Thema zurückkehrt, desto mehr findet sie dort."

"Glück ist harte Arbeit"

Munro, deren Mutter starb, als die Tochter ein Kind war, lebt noch immer in Ontario und ist längst Großmutter. Ihr zweiter Mann, ein Geograf, starb im April. Schon vor Jahren habe ihr Verleger ihr gesagt, sie sei Favoritin für den Literaturnobelpreis. "Und ich wusste, wenn ich gewinne, wäre ich für eine halbe Stunde wahnsinnig glücklich, und danach würde ich denken: Was für eine Qual." Denn Glück ist kein Preis, ist die überzeugte Calvinistin sicher, "Glück ist harte Arbeit".

2009 hatte Alice Munro den dritten Man Booker International Prize gewonnen. Die mit 60.000 Pfund (68.493 Euro) dotierte Auszeichnung wird alle zwei Jahre vergeben. "Alice Munro zu lesen bedeutet jedes Mal etwas zu lernen, an das man noch nie zuvor gedacht hat", hieß es in der Jurybegründung.

Freude unter der Kollegenschaft

Dass die kleine, zierliche Dame mit dem grau-weißen Haar nun den Literaturnobelpreis bekommt, begeistert viele Kolleginnen und Kollegen. Eine berühmte Kollegin und Freundin von Alice Munro hat sich auch schon gemeldet - und zwar Margaret Atwood. Die 73-Jährige schreibt auf Twitter: "Huurra! Alice Munro gewinnt den Nobelpreis für Literatur".

Auch in Frankfurt auf der Buchmesse gibt es große Begeisterung unter den Autorinnen und Autoren über den Nobelpreis für Alice Munro. Große Freude und Überraschung hat der Literaturnobelpreis für Alice Munro bei ihrem deutschen Verlag S. Fischer ausgelöst. Der Programmchef für Internationale Literatur, Hans-Jürgen Balmes, hat vor kurzem auf der Frankfurter Buchmesse gesagt: "Man bereitet sich immer wieder ein bisschen darauf vor und denkt, dieses Jahr wird es klappen. Dann hört man irgendwann auf zu hoffen, und dann klappt's". Als "Kammerspiele des Gefühls" bezeichnete Balmes Munros Erzählungen, "Geschichten, die immer in kleinen Räumen spielen, bekommen eine unheimliche Dimension."